Wir haben knapp zwei Stunden zum Packen. Gerade kam der Anruf aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. »Schaffen Sie es, um 17.30 Uhr am Flughafen zu sein? Wenn ja, dann sind Ihre Kinder auf dem Flug.« Und wie ich das schaffe.
Der Flug in die Sicherheit. Wir haben lange gezögert. Zum einen, weil wir an Raketen der Hamas, leider auch meine Kinder, schon fast gewöhnt sind. Zum anderen, weil man nicht einfach so sein Leben in Koffer packt und wegfliegt. Meine Kinder Dean und Eden haben Freunde hier, ihre Sportvereine und die Schule. Wenn auch im Moment nur via Zoom.
Meine kleine Tochter ist neun. Allerdings nicht mehr lange, am Sonntag wird sie zehn. Ihr Aba und ich werden nicht dabei sein, ich arbeite als Auslandskorrespondentin von Israel aus. Eden hat sich so sehr einen Hexengeburtstag gewünscht, das Kostüm hängt schon im Schrank.
Doch die Nachrichten der ständig steigenden Anspannung im Norden und die Gefahr, dass auch die Hisbollah Raketen gen Israel schickt, haben zu sehr an meinen Nerven gezerrt. Den Ausschlag machte die Botschaft des Iran, sich in den Konflikt einzumischen zu wollen. Nach der Ankündigung schlief ich kaum. Mit tiefen Schatten sagte ich am nächsten Morgen zu meinem Lebensgefährten Oron, ein Israeli: »Es reicht. Die Kinder müssen raus.« Er nickte nur stumm. Und ich begann, die deutsche Botschaft zu kontaktieren.
Kurz darauf zogen wir Kleidungsstücke aus den Bergen, die sich auf dem Sofa türmten. Natürlich muss auch Edens Kuschelhase mit. Dean schenke ich meine Bluetooth-Kopfhörer. Normalerweise erlaube ich ihm keine, zu viel Strahlung. Aber in diesen Tagen … Mein Sohn ist 14 und uns längst über den Kopf gewachsen. Ich habe viel mit ihm in den vergangenen Tagen geredet. Er weiß, dass er jetzt auf seine kleine Schwester aufpassen muss.
Raketen-Alarm am Flughafen
Das Auswärtige Amt sagte mir am Telefon, wir sollen nach Menschen in orangefarbenen Westen Ausschau halten. Wir finden Sie sofort. Sie sind nicht nur an der knalligen Farbe zu erkennen, sondern auch an ihrem freundlichen Lächeln. Die Abwicklung an einem Tisch für deutsche Staatsbürger ist schnell, nur ein Blatt ausgefüllt und ein grünes Armband mit Bundesadler ums Handgelenk geklebt. Meine Tochter ist stolz. »Fast wie bei einem Festival«, flüstert sie mir ins Ohr. Die kennt sie nur von ihrer großen Schwester Dana, die gerade für ein Austauschjahr an der Uni in Boston studiert. Ich bin heilfroh, dass sie nicht hier ist, doch sie hat Heimweh wie noch nie in ihrem Leben.
Wir warten vor dem Check-In-Schalter, als das Sicherheitspersonal zu schreien beginnt: »Auf den Boden. Alle auf den Boden.« Raketenalarm. Doch es dauert länger als gewöhnlich. Fast 15 Minuten müssen wir unten bleiben. Ich merke, wie mir langsam Panik durch meinen ganzen Körper kriecht. »Terroristen«, denke ich. Dann müssen wir in den unterirdischen Bunker. »Die Koffer dalassen.« Meine Nerven liegen blank. Oron nimmt mich in den Arm und sagt, dass in den extrem bewachten Flughafen sicher keine Terroristen kommen. Ich entspanne mich nur ein wenig. Dann die Entwarnung, wir stellen uns wieder in die Schlange.
Ich muss meinen Kindern versichern, dass ich gut auf unsere Katze Minka aufpasse und sie nicht alleinlasse. Natürlich nicht. Wo soll ich schon hin? Mein Schutzraum ist unser Treppenhaus. Dann umarme ich sie ganz fest, bevor sie in den Sicherheitsbereich des Flughafens gehen. Meine Kleinen und schon so Großen. Mein Herz ist schwer, doch ich weiß, dass ich das Richtige getan habe.
»Mami, dieses Flugzeug ist RIESENGROSS«
Als wir im Flughafen auf den Abflug warten, schicken sie uns Fotos. Es ist fast surreal, sie gehen tatsächlich in den Bauch einer riesigen Militärmaschine der deutschen Luftwaffe. Sie knipsen Selfies und Bilder. »Mami, dieses Flugzeug ist RIESENGROSS«, schreibt Dean. Zwar fliegen sie hin und her, seit sie Babys sind, doch allein in der Nacht in ein Militärflugzeug einzusteigen, während Raketen fliegen, ist nicht selbstverständlich.
Um 4.30 Uhr bekomme ich einen Anruf. »Wir sind gelandet.« Wie schön Deans Stimme klingt. Obwohl ich versucht hatte, wach zu bleiben, hören die beiden meine Erschöpfung. »Mach dir keine Sorgen, alle Leute sind supernett und kümmern sich um uns, es war eigentlich total cool.« Die Worte beruhigen mich. Außerdem weiß ich, dass meine Schwester und ihr Sohn auf die Kinder warten. Zuletzt hatten wir uns gesehen, als wir in Mailand auf einem Konzert zusammen feierten und lachten.
Im Morgengrauen und einem Strudel von Gefühlen mache ich mir meinen ersten Kaffee. Ich bin erleichtert, dass Dean und Eden in Sicherheit sind. Traurig, dass es so weit kommen musste, aber auch stolz auf meine Kleinen, die so tapfer und mutig sind. Doch vor allem empfinde ich tiefe Dankbarkeit gegenüber meiner alten Heimat, die Flugzeuge schickt, um uns zu retten. Von ganzem Herzen: Danke, Deutschland!