Der Nahe Osten ist im Umbruch. Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain nähert sich jetzt auch der Sudan Israel an. Unter Vermittlung der USA haben das afrikanische Krisenland und der jüdische Staat ihre langjährige Feindschaft beendet, um Frieden zu schließen.
Für beide ist das Normalisierungabkommen ein wichtiger Durchbruch. Während es Israels Sicherheit und geostrategische Interessen stärkt, will der Sudan hinaus aus seiner jahrzehntelangen Isolation.
ausschreitungen »Die Wege der Tora sind angenehm, und all ihre Pfade sind Frieden«, zitiert David Elbaz den Talmud. Der in Tel Aviv lebende Hautarzt wurde vor 77 Jahren in Khartum als Rabbinersohn in der dort ansässigen Gemeinde geboren und wanderte wegen antisemitischer Ausschreitungen 1964 nach Israel aus.
Für beide ist das Normalisierungabkommen ein wichtiger Durchbruch.
»Dieser Frieden berührt mich. Schon meine Eltern und Großeltern sind im Sudan geboren«, erzählt der Dermatologe. »Zeit meines Lebens sehnte ich mich nach diesem wunderschönen Land mit seinen wunderbaren Menschen.«
Wie die Elbaz-Familie, so siedelten sich viele Juden aus dem Nahen Osten Ende des 19. Jahrhunderts – vor allem aus Ägypten, zu dem der Sudan unter britischer Krone ab 1899 gehörte – in dem afrikanischen Land an. Laut Historikern gab es seit dem 15. Jahrhundert jüdisches Leben im Sudan, das während der osmanischen Zeit, 300 Jahre später, zunahm.
DIASPORA »Zwar hatte die Gemeinde nur 1000 Mitglieder, doch es gab ein blühendes jüdisches Leben in Khartum«, erklärt Elbaz. »Im Stadtzentrum stand die einzige Synagoge des Landes, die 1926 erbaut wurde, Platz für 500 Menschen bot und auch eine Mikwe besaß. Da es keine jüdische Schule gab, besuchten wir entweder katholische oder englische Institute.«
Die Mittel- und Oberschicht bestand aus vielen miteinander verbundenen unterschiedlichen Gruppen. Neben der jüdischen gab es in Khartum zahlreiche Diasporagemeinden aus Südeuropa und Nahost. Alle hatten ein soziales Zentrum, in dem sie sich trafen und Kontakte knüpften. »Wir hatten ein gutes Leben«, schwelgt er in Erinnerungen. »Die Sudanesen waren sehr liebevoll, tolerant und haben uns beschützt. Es war sehr harmonisch, und die Juden – meistens Ärzte, Kaufleute oder Gelehrte – waren dort gut integriert.«
Für Israel bedeutet die Normalisierung mit dem Sudan nicht die gleiche strategische Errungenschaft wie der Frieden mit den angrenzenden ehemaligen Feinden Ägypten und Jordanien. Das Abkommen ist weniger bilateral, sondern regional: Ein weiteres Land hat den Konfliktzyklus gegenüber dem jüdischen Staat verlassen. Allerdings bedeutet dieser Schritt – anders als bei den Friedensabkommen mit den VAE und Bahrain – keine großen wirtschaftlichen Möglichkeiten.
Für Israel bedeutet die Normalisierung mit dem Sudan nicht die gleiche strategische Errungenschaft wie der Frieden mit den angrenzenden ehemaligen Feinden Ägypten und Jordanien.
Der Sudan hat kaum etwas nach Israel zu exportieren, und für teure Importwaren – außer israelischen Technologien in den Bereichen Wasser, Landwirtschaft und Ernährung, die dazu beitragen werden, das Land ins 21. Jahrhundert zu bringen – ist seine Staatskasse nach jahrzehntelanger Diktatur, Korruption und Bürgerkriegen leer.
Doch im Gegensatz zu den autokratisch geführten arabischen Monarchien am Persischen Golf möchte das sudanesische Regime um Machthaber Abdel Fattah al-Burhan den Weg in die Demokratie wagen, und auch die geopolitische Situation des afrikanischen Staates ist für Jerusalem interessant.
ANTAGONISMUS »Israel unterhält nun diplomatische Beziehungen mit den meisten afrikanischen Ländern«, sagt Irit Bak vom Institut für Afrikastudien an der Universität Tel Aviv, »jetzt auch zu einem der wichtigsten und größten Länder des Kontinents, das auch als Brücke zwischen dem südlichen Afrika und der Nordsahara gilt.«
Frieden zwischen beiden Ländern wird aber nicht einfach und könnte Antagonismus unter den Bevölkerungsgruppen im Sudan hervorrufen. Zum einen betrachtete man Israel jahrelang als Feind, und die Beziehungen glichen einer Achterbahnfahrt. Sowohl 1948 als auch 1967 beteiligte sich das afrikanische Land an den Kriegen gegen den jüdischen Staat, und seit den 50er-Jahren gab es immer wieder antisemitische Ausschreitungen.
Khartum steht auch für die Resolution der Arabischen Liga nach Israels Sieg im Sechstagekrieg, als sich alle Mitglieder auf die »drei Neins« – zum Frieden, zur Anerkennung und zu Verhandlungen mit Israel – einigten. Jerusalem wiederum unterstützte den Unabhängigkeitskrieg Südsudans. Auch half Israel in den 70er-Jahren Zehntausenden äthiopischen Juden zur Flucht in den Sudan. Über ein als Tarnung dienendes Taucherresort wurden die »Falaschen« dort von der israelischen Marine in die neue Heimat gebracht.
Als der bis vor einem Jahr regierende Präsident Omar al-Baschir 1989 durch einen Militärputsch an die Macht kam, nahm der Sudan eine scharfe Wendung zum Islamismus. Durch ein Bündnis mit dem Iran wurden jahrzehntelang Waffen und militärische Unterstützung an terroristische Gruppen wie die palästinensische Hamas oder die libanesische Hisbollah geliefert.
»Seit Absetzung des Diktators besteht das Land aus zwei Fraktionen, und die Übergangskoalition, die sich aus Generälen und zivilen Vertretern der Revolution zusammensetzt, hat mit inneren Konflikten zu kämpfen«, erklärt die Politologin Bak. »Die Normalisierung mit Israel stellt für ihre Führer eine Gefahr dar, denn jeder Rückschlag könnte die fragile Situation destabilisieren.«
probleme Doch der Sudan hat große wirtschaftliche Probleme und braucht das Geld internationaler Firmen und Banken. Durch seine Einstufung als Unterstützer des Terrorismus wurde er international isoliert. Nach Zahlung von circa 290 Millionen Euro an amerikanische Terroropfer hofft das Land, von der US-Liste »Sponsoren des Terrorismus« gestrichen zu werden. Dazu gehört aber auch die Normalisierung mit Israel, die im Februar 2020 ihr Tauwetter erlebte.
Für Israel geht es um Sicherheit, für den Sudan um das Ende der Isolation.
»Der Sudan möchte Beziehungen zu Israel aufbauen«, sagt Doron Pinto, langjähriger Sicherheitsberater an der israelischen Botschaft in Kairo. »Sie suchen internationale Unterstützung, von der sie hoffen, dass sie zur Aufhebung von Sanktionen und Embargos führt.«
Für Israel, das den Iran und die Türkei daran hindern will, in Afrika Fuß zu fassen, ist Frieden mit dem Sudan aufgrund seiner geografischen Lage von geostrategischer Bedeutung. Auf seinem Gebiet und den angrenzenden Staaten gab es durch iranische Unterstützung jahrzehntelang zahlreiche terroristische Aktivitäten, die von den israelischen Streitkräften vielmals unterbunden wurden.
»Diese Präventivangriffe haben den vom Sudan ausgehenden Terrorismus erheblich verringert«, erklärt der Afrikaexperte. »Der Frieden mit Israel ist ein schwerer Schlag für Teheran und seine Unterstützung des globalen Terrorismus. Zwar werden sie neue Schmuggelrouten für ihre verbündeten Milizen finden, doch das Mullahregime ist besorgt über die Annäherung sunnitisch arabischer Staaten an Israel.«
Während Frieden zwischen dem Sudan und Israel ein schwieriger Prozess ist, hoffen beide Seiten auch auf eine wachsende Tourismusindustrie. »Es wäre ein Traum, mein Geburtsland zu bereisen«, sagt David Elbaz, »Land und Leute wiederzusehen und auch die einzig existierende jüdische Institution zu besuchen: den jüdischen Friedhof, wo meine Eltern begraben sind.«
Nach 56 Jahren hat er über Facebook zwei Schulkameraden gefunden und pflegt regelmäßig den Kontakt. »Wir haben eine Gruppe auf WhatsApp gegründet und chatten täglich. Ich freue mich schon auf unser Treffen.«