Hätte er auf der Pressekonferenz einen hautengen Anzug mit Umhang getragen und wäre durchs Fenster hinausgeflogen – gewundert hätten sich die Israelis sicher nicht. Schließlich halten sie den Gouverneur der Bank of Israel (BOI) tatsächlich für einen Superman. Doch jetzt will Stanley Fischer Israel nicht mehr retten. Nach acht Jahren im Dienst der Finanzen wird er seinen Posten verlassen – zwei Jahre vor Ablauf des Vertrages.
Kaum hat er die Entscheidung verkündet, im Juni seinen Hut zu nehmen, gehen die Spekulationen los: Rettet sich Fischer vom sinkenden Schiff, bevor Israel in die tosenden Wogen der weltweiten Wirtschaftskrisen eintaucht? Oder strebt der US-Israeli nach höheren Diensten und will der nächste Finanzminister des Staates werden? Vielleicht ist er aber auch nur ein normaler Mensch und hat Heimweh nach Amerika, seinen Kindern und Enkeln?
»Acht Jahre sind eine sehr lange Zeit«, beginnt er seine Ankündigung. »Israel ist mein zweites Zuhause geworden, und ich glaube nicht, dass es weniger Heimat ist als mein erstes. Meine Frau und ich sind dankbar für die wundervollen Jahre hier.« Die Worte klingen nach Abschied. Doch Fischer macht klar, dass er keine Pläne für die Zukunft habe und keinen Posten, der auf ihn warte. Noch. Gleichwohl habe er vor, sich in Israels öffentliche Angelegenheiten einzumischen, und er hoffe, dass seine Stimme hier weiterhin gehört wird.
Pendeln Die Entscheidung sei eine rein persönliche, gänzlich unpolitisch und habe nichts mit den Wahlen zu tun. Schließlich, macht er deutlich, habe er bereits damals, als er einer zweiten Amtszeit zustimmte, betont, er werde sie nicht vollenden. So ist es nun gekommen. Fischer wolle nun erst einmal in die USA zurückkehren und später seine Zeit zwischen den beiden Ländern aufteilen.
Mit dieser Reiselust wäre der in Mazabuka im Norden von Rhodesien (heute Zambia) Geborene wie geschaffen für den Job des Außenministers. Den des Finanzministers, dem Zahlenexperten eigentlich auf den Leib geschneidert, will er wohl nicht. Einmal hatte ihn Premier Benjamin Netanjahu bereits gefragt, doch die Antwort war: »No, thanks!« Zum Posten im Außenministerium sagte Fischer nichts. Gäbe es eine Umfrage, die Israelis würden ihn sicher mit Kusshand dort einstellen.
Timing Denn es war eine Liebesgeschichte zwischen den nicht immer einfachen Bewohnern des Heiligen Landes und dem sanften Wirtschaftsexperten aus Übersee. Fischer war der Fels in der Brandung, als um den kleinen Nahoststaat herum die Hölle losbrach. Die Aufstände bei den arabischen Nachbarn, die wirtschaftlichen Zusammenbrüche bei vielen Europäern vor vier Jahren – Israels Wirtschaft rettete sich so gut wie unbeschadet durch alles hindurch, mit Fischer an der Spitze. Der einstige Professor am Massachusetts Institute of Technology ergriff mutige und ungewöhnliche Maßnahmen, als andere noch nicht einmal daran zu denken wagten. So erhöhte er etwa die Zinsen drastisch, als sich der Markt nur ein wenig erholt hatte.
Und nun soll Israel das, was noch kommen mag, ohne ihn bewältigen. »Schlechtes Timing«, tönen die Medien und meinen damit, dass die fiskalen Aussichten alles andere als rosig sind. Denn Israel steht vor einem riesigen Loch. Im Haushalt klafft eine Lücke von drei bis vier Milliarden Euro. Dieses Defizit war der Grund, weshalb Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Neuwahlen aufgerufen hatte. Er wusste, dass er in der alten Koalitionszusammensetzung Steuererhöhungen und drastische Kürzungen vor allem im sozialen Bereich niemals hätte durchbringen können.
Fischer weist die Schuld für die drohende Krise von sich: »Wir haben immer wieder in internen Diskussionen davor gewarnt«, sagte er auf der Pressekonferenz, »doch irgendwann mussten wir es öffentlich machen.« Ein Seitenhieb auf die Regierung, die seine Warnungen zu oft in den Wind geschlagen hatte? Der Gentleman verneint höflich.
defizit Er habe Vertrauen in Netanjahu, der seiner Meinung nach »die Wirtschaft versteht und über einen hervorragenden intellektuellen Rahmen verfügt«. Das Haushaltsdefizit sei ein Problem, das eine verantwortungsvolle Regierung jedoch lösen könne. »Man braucht dafür keine Magie, sondern Mut. Und ich hoffe, dass die kommende Regierung den haben wird.«
Auch die Preisexplosionen auf dem Wohnungsmarkt habe er als BOI-Gouverneur nur zum Teil abfedern können. Innerhalb von fünf Jahren waren in Israel die Kosten für Wohnraum um 50 Prozent in die Höhe geschossen. Diese Tatsache war der Grund für die Sozialproteste vom Sommer 2011. »Meine Einflussmöglichkeiten waren begrenzt«, gab Fischer zu. Zwar habe er versucht, die Nachfrage durch verschärfte Kreditregeln einzudämmen, doch »um die Angebotsseite auf dem Markt muss sich die Regierung kümmern«.
Zur Kritik an der Wahl des Zeitpunkts für seinen Abschied erklärte er, dass wohl jede Zeit eine schlechte gewesen wäre. »Acht Jahre sind eine anerkennenswerte Dauer für eine derartige Position. Wann immer ich auch gegangen wäre, Kritiker hätten immer einen Grund gefunden, mir zu sagen, dass es jetzt nicht passt.« Dabei hat Fischer nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die Augen für anderes offen hielt. 2011 bewarb er sich um den Chefsessel im Internationalen Währungsfonds. Er war ein Favorit, doch wegen seines Alters schied er schließlich aus.
So sehr man auch über Fischers Abgang spekulieren mag, niemand bezweifelt, dass der 69-Jährige seinen Job hervorragend gemacht hat. Auch er selbst nicht: »Ich bin zufrieden mit dem Zustand der israelischen Wirtschaft.« Zwar brauche man ein Budget, das sie stärke, »doch auch wenn es jetzt ernsthafte Herausforderungen gibt, ich verlasse sie in einer guten Kondition«.