Melody Sucharewicz

»Aber was ist denn mit Sheikh Jarrah?«

Weder der Immobilienstreit noch israelische Polizisten am Tempelberg waren die Auslöser der »Eskalation«

von Melody Sucharewicz  23.05.2021 15:37 Uhr

Melody Sucharewicz Foto: Elad Malka

Weder der Immobilienstreit noch israelische Polizisten am Tempelberg waren die Auslöser der »Eskalation«

von Melody Sucharewicz  23.05.2021 15:37 Uhr

»Aber was ist denn mit Sheikh Jarrah? Meinen Sie denn wirklich, dass das der richtige Zeitpunkt war, den Status Quo in Ost-Jerusalem zu ändern, wo doch die Lage bereits so angespannt ist?«

»Meinen Sie etwa das bevorstehende Gerichtsurteil zur Räumung einiger Häuser zugunsten der Eigentümer nach Ablauf der Pachtverträge?«

»Na ja, ich meine die Vertreibung arabischer Bewohner aus Ost-Jerusalem durch jüdische Siedler.«

»Verstehe. Also, wenn die Bewohner Araber sind und die Eigentümer Juden, ist die Rechtslage egal. Ein Glück, dass Liebig 34 in Berlin von Linksradikalen besetzt wurde und nicht von Arabern, sonst säßen die Spinner heute noch dort.«

Die palästinensische Propaganda verkauft Sheikh Jarrah gern als »ethnische Säuberung« und »israelische Eroberungsversuche« von Al-Aqsa.

So begann mein Dialog mit einem deutschen Moderator, der mich für eine Sendung zur »jüngsten Eskalation zwischen Palästinensern und Israelis« interviewen wollte.

Zurück also zu Sheikh Jarrah. Ich: »Sehen Sie in der rechtmäßigen Räumung von Liebig 34 eine Änderung des Status Quo in Berlin?«

»Nein, natürlich nicht. Aber das ist doch nicht das Gleiche.«

»Das müssen Sie mir erklären. In beiden Fällen geht es um Eigentum, das nach Ablauf der Pachtverträge - 10 Jahre im Falle Liebig, 50 Jahre in Falle Sheikh Jarrah - rechtmäßig an seine Besitzer zurückgeht. Sie verlangen also von den Eigentümern auf ihren rechtlichen Anspruch zu verzichten, weil sie Juden sind und die Einwohner Araber sind? Bei der Berichterstattung zu Sheikh Jarrah und zum Nahostkonflikt überhaupt kann ich verstehen, warum Sie so denken. Ist aber ganz schön realitätsfern.«

»Jetzt werden Sie doch nicht sarkastisch, Frau Sucharewicz.«

»Lassen Sie uns doch konstruktiv bleiben, mit dem Fingerzeigen auf deutsche Berichterstattung kommen wir nicht weiter. Ich fände es gut, wenn Sie stattdessen über Lösungsansätze sprechen.«

»Klar. Bin ganz bei Ihnen. Fingerzeigen ist passé, Lösungen sind in. Sheikh Jarrah ist ein Symbol für das Leiden der Palästinenser unter israelischer Besatzung. Sheikh Jarrah ist der Auslöser für die jetzige Eskalation. Die Palästinenser wollen doch nur Frieden und Freiheit. Besser?«

»Jetzt werden Sie doch nicht sarkastisch, Frau Sucharewicz.«

»Mea maxima culpa – nach Jahrzehnten solcher Unterhaltungen mit wohlwollenden Nahost-Experten wie Ihnen verfalle ich manchmal dem Sarkasmus. Aber Sie haben recht, bleiben wir bei den Fakten.«

Ost-Jerusalem gehört zu den »umstrittenen« Themen, über die künftig verhandelt werden sollte.

Weder der Immobilienstreit von Sheikh Jarrah noch die Präsenz israelischer Polizisten am Tempelberg gegen Ende des Ramadans waren die Auslöser der »Eskalation«. Beide Ereignisse verkauft die palästinensische Propaganda als Zeichen »ethnischer Säuberung« und Eroberungsversuche von Al-Aqsa.

Und nur allzu gern wird diese Fake-News-Erzählung von selbsternannten deutschen »Nahostexperten«, die oftmals obendrein noch nie in Israel gewesen sind, reichweitenstark nachgeplappert.

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Wer sich auch nur ein klein wenig mit der Geschichte, der Sicherheitslage und systematischen Hetze von Hamas & Co. auskennt, lacht über solche irrwitzigen Unterstellungen. Mein Interviewpartner lacht nicht. Er ist bestürzt über die ausweglose Situation und sucht nach Antworten für Israels Verhalten.

Also erkläre ich ihm: Ost-Jerusalem wurde in einem Beschluss des Völkerbundes 1920 bei der San-Remo-Konferenz dem künftigen jüdischen Staat zugesprochen. 1948 griffen fünf arabische Staaten das neugegründete Israel an. Israel siegte, aber Jordanien besetzte Ost-Jerusalem.

Warum waren israelische Polizisten während des Ramadan am Tempelberg?

Im Sechs-Tage Krieg 1967 eroberte Israel Ost-Jerusalem zurück und annektierte es später. Seither herrscht auf dem Tempelberg uneingeschränkte Religionsfreiheit – ganz anders als während der jordanischen Besatzung: Jordanier vertrieben die Juden, die die Mehrheit darstellten, zerstörten Synagogen und jüdische Friedhöfe und verabschiedeten Gesetze, die christlichen Institutionen den Erwerb von Immobilien verboten.

Ost-Jerusalem gehört zu den »umstrittenen« Themen, über die künftig verhandelt werden sollte. Völkerrechtlich sprechen wir also von »umstrittenem Gebiet« - und eben nicht von »besetztem Gebiet«.

Warum waren also israelische Polizisten während des Ramadan am Tempelberg? Weil massenhaft verbreitete Aufrufe der palästinensischen Führung zur gewaltsamen »Befreiung von Al Aqsa« anstachelten. Fake News über Sheikh Jarrah wurde als Zündstoff eingesetzt.

Zum destruktiven Konzept der Palästinenserführung gehörten Attentate auf jüdische Zivilisten und Sicherheitskräfte. In der Al-Aqsa-Moschee wurden Felsbrocken, Feuerwerkskörper und Steine gehortet.  

Nach dem Freitagsgebet warfen tausende Palästinenser diese Geschosse auf die Polizisten. Die verteidigten sich mit Brandgranaten. In den sozialen Medien machten die Palästinenser daraus »Israel besetzt Al Aqsa‹«. Der Rest ist bekannt.

Die Fatah übte sich auf der offiziellen Facebook-Seite im altbekannten Todeskult.

Dass die Eskalation in Iran geplant wurde, ist kein Geheimnis: Irans Führer Chamenei lobte wenige Tage zuvor »das reine Blut der Märtyrer des Widerstands« und »die innere Macht des palästinensischen Dschihad«, die werde sich »um das Hundertfache vervielfachen«.

Die Fatah übte sich auf der offiziellen Facebook-Seite im altbekannten Todeskult: »Gaza überreicht seine Söhne dem ewigen Paradies als Märtyrer für die Befreiung Jerusalems.« Zusätzlich hetzten palästinensische Führer die Aufständischen immer weiter dazu auf, Ihr Leben für Jerusalem zu opfern.

Basis dieses hochemotionalen palästinensischen Aufruhrs ist der weit verbreitete Fundamentalismus der islamistischen Hamas. Hinzu kommt die Rivalität zwischen Fatah und Hamas, die sich aktuell an Radikalität überbieten wollen, um an Popularität zu gewinnen.

Über 4000 vom Iran finanzierte Raketen wurden auf israelische Familienhäuser, Schulen und Kindergärten abgefeuert. Bis zu 500 landeten noch im Gazastreifen und töteten die eigene Bevölkerung. Zwei der Todesopfer unter Israels Zivilisten sind ein arabisch-israelischer Vater und seine Tochter.

Würden Sie sich mit Anis Amri, dem Breitscheidplatzterroristen, an den Tisch setzen, um nach Lösungen für seinen Hass gegen »Ungläubige« zu finden?

Die Äquidistanz mancher Politiker in Deutschland und ihr Appell an »alle Beteiligten«, Gewalt und Opfer zu vermeiden ist an Absurdität nicht zu überbieten. Wer lacht sich dabei ins Fäustchen? Die Terroristen in Gaza, die den Westen genauso verachten wie die Juden. Die Mullahs im Iran, die den Raketenterror der Hamas finanzieren, während sie den Westen erfolgreich mit nuklearer Aufrüstung erpressen.

Und jetzt? Mit ihren Angriffen auf Jerusalem und Tel Aviv machte die Hamas einen herben Fehler, für den sie nun bitter zahlt. Nach Jahren täglichen Raketenterrors gegen Israels Süden, drei Kriegen, ausgelöst durch eben diesen Raketenterror, wird diese Operation für Israel letztgültig erst dann beendet sein, wenn die Terror-Infrastruktur der Hamas zerstört und das nötige Abschreckungspotential für ein paar Jahre Ruhe für Israels Zivilbevölkerung erreicht ist.

»Sie möchten über Lösungen sprechen, über konstruktiven Dialog zwischen Israelis und Palästinensern, ignorieren dabei aber, mit wem und was wir es hier zu tun haben. Wer die Hamas ist und was sie will«, sagte ich dem Moderator. »Würden Sie sich mit Anis Amri, dem Breitscheidplatzterroristen, an den Tisch setzen, um nach Lösungen für seinen Hass gegen »Ungläubige« zu finden? Mit den sadistischen Folterern des Islamischen Staats? Lesen Sie einmal die Hamas-Agenda. Blättern Sie durch deren Twitter- und Facebook-Accounts. Sie werden Parallelen und feine Unterschiede erkennen.«

Terror ist Terror ist Terror. Berlin ist Paris ist Tel Aviv. Messerattacken sind Enthauptungen sind Raketen.

Der Islamische Staat köpft Schwule, Hamas erhängt sie. Anis Amri rast in eine Menschenmenge am Weihnachtsmarkt, Hamas rast in eine Menge Jugendlicher Israelis, die an der Bushaltestelle warten. Al Qaida schlitzt vor laufender Kamera die Kehle westlicher Journalisten durch – Hamas schlitzt unter dem Radar internationaler Medien die Kehlen einer ganzen jüdischen Familie durch, auch die der drei Monate alten Hadas Vogel.

Terror ist Terror ist Terror. Berlin ist Paris ist Tel Aviv. Messerattacken sind Enthauptungen sind Raketen. Wer, wie der gute Moderator, den Terror der Hamas mit der Selbstverteidigung des jüdischen Staats gleichstellt, die einzige westliche Demokratie, die an jeder Front gegen akute Gefahren kämpft, deren Vernichtung im Visier des Feindes steht, und eben nicht eine bessere Zukunft für die eigene Bevölkerung, wer sich in dieser wunderbar komfortablen Äquidistanz suhlt, muss sich eine entscheidende Frage gefallen lassen: Ist er nur blind oder naiv oder Antisemit oder alles gleichzeitig?

Die Autorin ist Politikberaterin und lebt in Israel.

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