Die Sorge in Israel über ein bevorstehendes Atomabkommen zwischen den Weltmächten und dem Regime in Teheran wächst weiter. Jetzt haben sich mehr als 5000 israelische Sicherheitsexperten in einem offenen Brief an US-Präsident Joe Biden gewandt, in dem sie ihn auffordern, den Deal mit dem Iran nicht zu unterzeichnen.
Sie nahmen kein Blatt vor den Mund: »Basierend auf unserer gemeinsamen Erfahrung und Einschätzung sind wir überzeugt, dass dieses Abkommen aus einer Vielzahl von Gründen katastrophal für den amerikanischen, israelischen und globalen Frieden und die Sicherheit ist.«
Den vom »Israel Defense and Security Forum« verfassten Brief haben hochrangige Offiziere verschiedener Zweige der israelischen Armee, von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, Forscher, Akademiker und andere unterschrieben. Dazu gehören die pensionierten Generäle Amir Avivi, Gershon Hacohen, Yossi Bachar, Kamil Abu Rokon und Yossi Kuperwasser.
Laut dem Forum gibt ein wiederbelebtes Abkommen dem Iran einen »eindeutigen legalen Weg zum Erhalt von Atomwaffen bis 2031 und den Unterzeichnern keine Werkzeuge, um dies zu stoppen«. Der Vertrag werde ein regionales atomares Wettrüsten auslösen, bei dem Länder wie Ägypten, Saudi-Arabien und andere sunnitische Staaten gezwungen sein werden, Atomwaffen zu entwickeln oder zu erwerben, um die iranische Bedrohung abzuschwächen, meinen sie. »Religionskriege könnten dadurch ausgelöst werden.«
TERROR »Das Abkommen wird der Islamischen Republik Iran einen Fluss aus zuvor eingefrorenen Geldern bringen, Gelder, die zweifellos dazu verwendet werden, Terror und Instabilität in die Region und darüber hinaus in einem beispiellosen Ausmaß zu exportieren. Dazu kommt ein zukünftiger nuklearer Schirm als Kraftmultiplikator«, warnen die Experten.
Israel hat sich von Anfang an vehement gegen eine Rückkehr zu dem Abkommen von 2015 ausgesprochen, das die Sanktionen des Westens gegen Teheran im Gegenzug für Beschränkungen des iranischen Atomwaffenprogramms aufhob. Obwohl der Iran derzeit mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert ist, wird Teheran durch das Streichen von Sanktionen nicht nur in der Lage sein, die Arbeit an seinen Nuklear- und ballistischen Raketenprogrammen zu intensivieren, sondern auch seine Pläne der regionalen Hegemonie im Nahen Osten weiter zu betreiben.
Mehrere hochrangige Regierungsvertreter reisten in den vergangenen Tagen nach Washington, um Israels Haltung deutlich zu machen, darunter Mossad-Chef David Barnea und Verteidigungsminister Benny Gantz. Dieser sagte, dass man zwar nicht generell gegen Vereinbarungen sei, sich jedoch deutlich gegen das sich abzeichnende Abkommen ausspreche. »Es ist voller Unklarheiten hinsichtlich der zukünftigen Gefahr durch den Iran im Technologiesektor, bei der Waffenproduktion und den Beiträgen zur iranischen Wirtschaft, die die Unterstützung terroristischer Organisationen in der Region und darüber hinaus weiter stärken werden.«
»Komme, was wolle, ihr werdet
Ram Ben-Barak
kein Atomprogramm haben.«
Am Sonntag hatte auch der israelische Präsident Isaac Herzog bei einem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin Israels Ablehnung des aktuellen Entwurfs zum Ausdruck gebracht: »Der Iran strebt offen nach der Zerstörung Israels, und die internationale Gemeinschaft muss ihn hart, entschieden und durchsetzungsfähig behandeln. Zahnlose und verwässerte Abkommen und weitreichende Vorteile werden den Iran nicht aufhalten.« Er habe bewiesen, dass ihm nicht vertraut werden könne. Israel erwarte, »dass unsere Verbündeten zu dieser Stunde fest an unserer Seite stehen«.
Währenddessen gehen Experten auch davon aus, dass Russland hofft, von einem Nukleardeal zu profitieren. Denn Putin könne ein von den Sanktionen befreites Teheran nutzen, um die Sanktionen gegen die eigenen Ölexporte zu umgehen. Die Ölexporte beider Länder unterliegen strengen Beschränkungen: im Fall des Irans wegen dessen Atomprogramms und im Fall Russlands wegen der Invasion in der Ukraine. Moskau und Teheran würden dann voraussichtlich einen »Tausch«-Mechanismus einführen.
ABBRUCH Das ursprüngliche Atomabkommen hatte der Iran im Jahr 2015 mit den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China unterzeichnet. Es sah vor, dass der Iran zustimmte, seine Anreicherung von Uran unter der Aufsicht von UN-Inspektoren im Austausch für die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen zu begrenzen. Drei Jahre später zog der damalige US-Präsident Donald Trump die USA aus dem Abkommen heraus. Kurze Zeit später begann Teheran, die Auflagen zu brechen. Die von der EU koordinierten Verhandlungen zur Wiederbelebung des Deals begannen im April 2021, wurden ausgesetzt und in diesem August wieder aufgenommen.
Vergangene Woche bezeichnete Washington die jüngste Reaktion des Irans auf einen Entwurf als »nicht konstruktiv«. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte nur einen Tag zuvor wissen lassen, dass er eine Resolution innerhalb weniger Tage zur Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 für realistisch halte. Am 8. August legte die EU einen sogenannten endgültigen Text vor. Der Iran schlug Änderungen vor, die von den Europäern weitgehend akzeptiert wurden, worauf die USA ihre Vermittler einschalteten. Besonders seit Bekanntwerden des Entwurfs ist die Regierung in Jerusalem überzeugt: »Der Deal ist schlecht.« In einem Interview sagte der Leiter des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung des Parlaments, Ram Ben-Barak: »Es muss ein viel besserer Deal auf eine längere Dauer ausgearbeitet werden.« Die Westmächte seien durchaus in der Lage, eine derartige Version unter Dach und Fach zu bringen.
OFFENLEGUNG Die künftige Offenlegung des Programms und regelmäßige Inspektionen seien Israels Hauptanliegen bei dem aktuellen Deal, führte er aus. Israel habe sich verpflichtet, dem Iran niemals zu erlauben, Atomwaffen zu erhalten, denn Teheran habe sich die Auslöschung des jüdischen Staates auf seine Fahnen geschrieben. »Was Israel will, ist etwas Besseres als dieses Abkommen«, so Ben-Barak. »Und etwas Besseres bedeutet, den Iranern klarzumachen: ›Komme, was wolle – ihr werdet kein Atomprogramm haben!‹«
Am Dienstag sandte Israels Premier Yair Lapid während eines Besuches des Luftwaffenstützpunkts Nevatim vor einem F-35-Kampfjet eine deutliche Botschaft an den Iran: »Israel ist auf jede Bedrohung und jedes Szenario vorbereitet.« Am Mittwochmorgen meldete die israelische Website »Times of Israel«, das Weiße Haus habe die Nachricht an Lapid übermittelt, dass ein Deal zwischen Teheran und den Weltmächten »vom Tisch ist und in absehbarer Zeit nicht unterschrieben wird«. Jerusalem komentierte dies bisher nicht.