Walter Bingham winkt. Er sitzt in einer einmotorigen Maschine, trägt ein weißes »Thank You IDF«-T-Shirt, eine Cargohose, Sicherheitsgurtzeug und weiß: Gleich wird es losgehen. Gleich wird er, der 100-Jährige in einem Tandemsprung aus dem Flugzeug springen und das Land von oben sehen, in dem er seit über 20 Jahren lebt. »I should be seeing a country from the River to the Sea”, sagt er erwartungsvoll lächelnd.
Und dann springt er mit seinem Tandempartner, sie überschlagen sich zweimal, der Fallschirm öffnet sich, und dann schweben sie über Israel. Was manch Jungem Respekt einflößt, – ein Sprung aus mehreren tausend Metern Höhe–, das hat dem 100-jährigen Bingham mehr als Spaß gemacht. Er lacht, er schwankt etwas, er freut sich.
Bingahm wurde 1924 als Wolfgang Billig in Karlsruhe geboren. Als Jugendlicher war er in einer orthodoxen zionistischen Jugendgruppe aktiv und bereitete sich auf das landwirtschaftliche Kibbuzleben in Palästina vor. »Den Zionismus habe ich mit der Muttermilch eingesaugt.« Doch statt nach Palästina emigrierte der damals 14-Jährige mit einem Kindertransport nach England. Als junger Mann kämpfte er in der Normandie gegen die deutschen Besatzer.
Nach Beendigung seines Dienstes in der Armee begann Bingham als Journalist.
Während seiner Stationierung im besetzten Deutschland arbeitete er auch in der Spionageabwehr und half dabei, Nazi-Offiziere zu identifizieren. Nach dem Krieg verhörte Bingham für die Briten NS-Funktionäre, darunter Joachim von Ribbentrop, den ehemaligen Reichsaußenminister. »Er hatte die Stirn zu behaupten, er habe nichts vom Holocaust gewusst.« Ribbentrop wurde im Zuge der Nürnberger Prozesse zum Tode verurteilt. Nach Beendigung seines Dienstes in der Armee begann Bingham als Journalist – und arbeitet bis heute in diesem Bereich.
Die Wände seines Studios sind voll mit Bildern Unbekannter und Prominenter, die er in seine Radiosendungen einlädt. So moderiert er beispielsweise Walter’s World, einen 30-minütigen Beitrag beim Sender »Arutz7« auf »Israel National News« und seit 2016 The Walter Bingham File auf »Israel News Talk Radio«. Außerdem schreibt er regelmäßig Beiträge für die »Jerusalem Post« und den »Jerusalem Report«. Die Interviews schneidet er selbst. »Dafür brauche ich manchmal drei Tage.« Eigentlich arbeite er die ganze Woche. Fast 1000 Folgen hat er bislang produziert, die sich mit Politik, Sicherheitsfragen, Kultur, Bildung und allgemeinen Themen auseinandersetzen.
Er trat als Zauberer in »Harry Potter« auf – und in verschiedenen Fernsehdokumentationen auf.
Grund genug, dass das Guinness-Buch der Rekorde Bingham als ältesten aktiven Journalisten der Welt würdigt. Im Jahr 2018 stellte er einen weiteren Rekord auf: Er wurde Israels ältester Fallschirmspringer. »Ich bin immer gern da, wo etwas los ist.« In England spielte Bingham in zahlreichen Filmen mit. Er trat als Zauberer in Harry Potter auf – und in verschiedenen Fernsehdokumentationen, in denen ältere Männer mit weißem Bart gefragt waren.
Die Londoner Kaufhäuser Harrods und Selfridges engagierten ihn gar als Weihnachtsmann. Eigentlich wollte er schon in jungen Jahren nach Israel emigrieren, aber seine Frau war dagegen. Deshalb zog er erst nach ihrem Tod vor über 20 Jahren nach Jerusalem, wo er am Rand der Altstadt in einem Towerblock mit Blick auf das Jaffator wohnt. Vielleicht konnte er das bei seinem Fallschirmsprung ja auch sehen. (mit kat)