Lag BaOmer, der 33. Tag der Omerzählung, wird in den verschiedenen chassidischen Häusern mit ausgelassener Fröhlichkeit begangen. Unlängst brachte eine chassidische Gesangstruppe mehrere CDs heraus. Darauf sind verschiedene Niggunim zu hören – Weisen zu festlichen Anlässen. Die Gruppe nennt sich »L’Chajim Tish«.
In der chassidischen Bewegung ist der Begriff »Tisch« eine festliche Begegnung des Rabbis mit seinen Chassidim und Gästen. Die Anhänger des Rebben versammeln sich dabei um ihren Meister an einem gedeckten Tisch – hauptsächlich, um seinen Toraauslegungen zu lauschen, aber auch, um bekannte Semirot (Lieder), Niggunim (Weisen) und verschiedene biblische Texte zu singen. Beim »Tisch« wird auch das eine oder andere Glas Schnaps geleert.
Chassidim Der »Tisch« ist beileibe keine Erfindung der osteuropäischen Chassidim. Bereits zur Zeit der Mischna wie auch in den deutschen Gemeinden des Mittelalters wurde um bekannte Rabbiner an den Feiertagen Tora gelehrt. Doch die chassidische Bewegung gab dem »Tisch« eine Dimension von Heiligkeit, die bei Feierlichkeiten in der jüdischen Welt mit dieser Innigkeit sonst nicht erlebt wurde.
Die gefühlsbetonte Dimension ergibt sich aus der Überzeugung der Chassidim, dass während des »Tischs« alle Handlungen des Rabbis, der häufig als Zaddik, als gerechter Heiliger, angesehen wird, eine mystische Aura haben. Sogar das Schneiden des Brotes, das Einschenken des Weins und das Weiterreichen an die zahlreichen Tischgenossen gewinnen für die Teilnehmer des »Tischs« besonderes Gewicht.
Niggunim Der Grund dafür kann darin gesehen werden, dass der Zaddik G’tt nicht nur durch die Frömmigkeit des Gebets, sondern auch durch seine alltäglichen irdischen Handlungen verehrt. So werden diese von den Tischgenossen bereits als heilig angesehen. Die sichtbaren Erscheinungsformen dieser Handlungen drücken sich auch im Gesang, im Reigentanz und in rhythmischen Bewegungen oder Klatschen aus, mit dem der Rabbi die Niggunim begleitet: insbesondere bei solch fröhlichen Anlässen wie Lag BaOmer, bei dem die Trauer der Omerzeit unterbrochen wird.
Die Anlässe, bei denen »Tisch gehalten« wird, variieren in den verschiedenen chassidischen Dynastien und Höfen. Der hochgeschätzte Rabbi solch einer Dynastie wird von seinen Anhängern liebevoll Admor (aus dem Hebräischen »Adoneinu Morenu Haraw« – »Unser Herr, Meister und Lehrer«) genannt.
Osteuropa Im Allgemeinen wird der »Tisch« am Freitagabend wie auch am Vorabend der Feiertage gehalten, da zu diesen Anlässen auch viele auswärtige Gäste und Verehrer des Rebben eintreffen. In Osteuropa nahm die Gemeinde in Zeiten der Armut früher nur symbolisch an der Mahlzeit teil. Die Chassidim empfingen vom Rebben ein Stück Challa für die Bracha »Hamozi«. Dieses oder auch andere Reste von Speisen, die der Rabbi zu sich genommen hatte, werden von seinen Anhängern »Schirajim« (Überbleibsel) genannt und mit besonderer Vorliebe verzehrt.
Seit Jahrhunderten hat in jüdischen Häusern der Tisch eine besondere Bedeutung. Der Talmud schreibt: »Solange das Heiligtum in Jerusalem stand, erwirkte der Altar die Sühne für uns. Jetzt, wo wir keinen Tempel mehr haben, ist es der häusliche Tisch im jüdischen Haus mit den rituellen Speisen und dem Studium, wodurch wir Sühne erwirken können« (Berachot 54).
Vor diesem Hintergrund ist die bekannte Sitte zu erklären, dass man wohltätigen Gelehrten nach ihrem Tod aus den ungehobelten Brettern des Tisches, an dem sie einst studierten und Gäste bewirteten, schließlich ihren Sarg für die Beerdigung zimmert. Zur Verbreitung dieser Sitte trug die Eigenart der hebräischen Sprache bei: Im Hebräischen bedeutet das Wort »Aron« sowohl Tisch als auch Bundeslade und Bücherschrank, aber auch Sarg. Da lag es auf der Hand, dass man die unterschiedlichen Bedeutungen eines Wortes in spirituelle Verbindung zueinander brachte.