Wir Juden gelten als »Volk des Buches«. Um dem gerecht zu werden, ist durch die Wochenabschnitte zumindest die Beschäftigung mit der Tora »gesichert«. Sie wird im Verlauf eines Jahres vollständig gelesen und auch »gelernt«, indem man sich mit Kommentaren beschäftigt. Mittlerweile hat aber auch das Talmudlernen einen Zyklus erhalten. Den führte Rabbiner Meir Schapiro (1887–1933) in den 20er-Jahren ein. Demnach werden alle 2711 Blätter des Talmuds über einen Zeitraum von 88 Monaten gelesen.
Abschluss 2012 ging dieser Zyklus zu Ende und wurde erneut begonnen. Am Ende des letzten Traktats gab es riesige Abschlussveranstaltungen, genannt »Sijumim«. So kamen zum Beispiel im MetLife Stadium, wo sonst die New York Giants Football spielen, rund 90.000 Menschen zusammen. Aber es gibt Sijumim auch in bescheidenerem Rahmen. Jede Gruppe, die sich mit religiösen jüdischen Texten beschäftigt, kann einen Sijum abhalten.
»Sijum« bedeutet »Abschluss« und markiert das Ende eines vollständig gelernten Abschnitts. Das Lesen reicht nicht aus; wichtig ist die inhaltliche Auseinandersetzung. Wer auch immer ein Mischna- oder Talmudtraktat vollständig gelernt hat und zum Ende kommt, kann einen Sijum halten. Es ist Brauch geworden, dies mit einer kleinen Feier zu verbinden, zu der es eine festliche Mahlzeit gibt. An dieser können auch Personen teilnehmen, die nicht alles mitgelernt haben.
Hadran Doch bevor man fröhlich wird, betet man meist noch das »Hadran« (»Wir werden zurückkommen«). Dieser Text wird nach jedem Talmudtraktat oder nach jeder Mischnaordnung gesprochen. Man wünscht sich, zum Traktat »zurückkehren« zu können und dass man den Inhalt nicht vergisst – gerade auch im Hinblick auf die Olam haba, die künftige Welt.
Von diesem Brauch schreibt auch Rabbiner Mosche Isserles (1520–1572) in seinem Schulchan Aruch (Jore Dea 246,26). Die früheste Erwähnung des Hadrans dürfte im Werk HaEschkol (Kapitel Hilchot Sefer Tora 14) von Rabbiner Abraham ben Jitzchak aus Narbonne (1110–1179) zu finden sein. Der Brauch, einen Sijum zu halten, scheint aber bis in die Zeiten des Talmuds zurückgehen: Rabbi Abaje erzählt (Schabbat 118b–119a), dass er ein Fest feierte, als er sah, dass ein Schüler einen Traktat beendet hatte.
Propheten Weniger förmlich geht es zu, wenn man einen Abschnitt eines anderen Textes gelernt hat. Rabbiner Mosche Feinstein (1895–1986) hielt in seiner Responsensammlung Igrot Mosche (Orach Chajim 1,157) fest, dass man auch einen Sijum abhalten kann, wenn man eine kleinere Einheit eines Textes gelernt hat. Wichtig sei, dass man selbst etwas vollendet habe und es Mühe gekostet hat. Das können die Bücher der Propheten sein, ein Teil des Schulchan Aruch oder das Buch der Tehillim (Psalmen).
Es hat sich durchgesetzt, dass man zu einem Sijum festliche oder gar neue Kleidung trägt. Man kann aber auch eine Frucht verzehren, die man im laufenden Jahr noch nicht gegessen hat. Denn dann kann man den Segen »Schehechijanu« (»der uns diese Zeit hat erreichen lassen«) sagen, um den festlichen Anlass zu markieren.