Die Bewegungen, die viele Männer beim Gebet machen, sind eine interessante Angelegenheit. Schockeln – so der jiddische Begriff dafür (von Deutsch: schaukeln) – gibt es in vielen Variationen.
Einige Beter schockeln viel und schnell, andere tun es eher langsam und bedächtig. Vereinzelt ist man sogar versucht, über das Schockeln die Intensität des Gebets zu messen. Wer viel schockelt, scheint mit größerer Hingabe zu beten. Manche sehen darin ein meditatives Element oder vergleichen es mit den wiegenden Bewegungen eines Pianisten. Auf der anderen Seite gibt es Beter, die sich nahezu gar nicht bewegen. Was ist besser, was ist »richtiger«? Das könnte man vielleicht entscheiden, wenn man weiß, warum überhaupt geschockelt wird.
Bedeutung Dafür gibt es eine ganze Reihe von Erklärungsversuchen. Doch muss man bei ihnen, wie so oft bei Bräuchen, zwischen dem ursprünglichen Grund, also der Quelle, und der Interpretation unterscheiden. Was keinesfalls heißt, dass die Interpretation die Bedeutung schmälert. Nein, vielmehr gibt sie dem Grund des Brauches zusätzliche Bedeutungen.
Rabbi Mosche Isserles (1525–1572) schreibt in seinem Kommentar zum Schulchan Aruch (Orach Chajim 48,1), dass man alle Körperteile in den Dienst G’ttes stellen soll. Er folgt damit einer Interpretation, die das Schockeln auf König David zurückführt – oder zumindest auf einen Ausspruch Davids aus den Psalmen. Dort heißt es: »All meine Knochen sollen sagen: HaSchem, wer ist dir gleich?« (Tehillim 35,10). Dies wäre zumindest eine (sehr beliebte) Interpretation, aber kein Hinweis auf die Wurzel.
Eine weitere interessante Deutung ist, dass die Seele des Menschen einer Flamme gleiche und sich stets HaSchem zuwende. Diese Bewegungen würde der Körper nachahmen. Der Körper des Menschen als flackerndes Licht ist zumindest ein schönes sprachliches Bild und entstammt wohl dem Zohar (Pinchas 218).
Ursprung Nach Jehuda haLevi (etwa 1075–1141) und seinem Buch Kuzari stammt die Geste aus einer Zeit, in der nicht alle Juden Bücher oder Handschriften hatten. Damit jeder mal hineinschauen konnte, beugte sich einer kurz nach vorn, während ein anderer nach hinten wich. Dies sei der Ursprung.
Die Mischna Berura (95,7) von Rabbi Jisrael Meir Kagan (1838–1933) erlaubt das Schockeln auch während der Amida, dem Achtzehnbittengebet. Die Gesten sind also akzeptiert und dokumentiert. Zugleich warnt Kagan jedoch davor, ungewöhnliche Bewegungen zu machen, nur um die Aufmerksamkeit der anderen Beter auf sich zu ziehen. Dies lenke die Anwesenden vom Gebet ab.
Wir sehen also, Juden machen schon sehr lange die charakteristischen Bewegungen während des Gebets. Zuweilen steckt hinter der Interpretation eine bemerkenswerte Geschichte. Manchmal gibt sie uns Auskunft darüber, dass ein Brauch tatsächlich sehr alt ist, und dies ist schon ein Wert für sich.
So scheint es auch im Falle des Schockelns zu sein: Es ist weder verboten noch erlaubt. Wem es bei der Konzentration hilft, der tut es. Wen es mit der Tradition verbindet, der tut es. Aus den gleichen Gründen kann man es aber auch nicht tun.