Glossar

Rot

Rot ist die Farbe des Blutes und des Feuers. Das hebräische Wort für Rot, adom, lässt sich von derselben Wurzel ableiten wie das Wort »Adam« (Mensch) und »Dam« (Blut)

von Konstantin Schuchardt  10.05.2016 09:46 Uhr

Das hebräische Wort für Rot, adom, lässt sich von derselben Wurzel ableiten wie das Wort »Adam« (Mensch) und »Dam« (Blut). Foto: Thinkstock

Rot ist die Farbe des Blutes und des Feuers. Das hebräische Wort für Rot, adom, lässt sich von derselben Wurzel ableiten wie das Wort »Adam« (Mensch) und »Dam« (Blut)

von Konstantin Schuchardt  10.05.2016 09:46 Uhr

Rot ist die Farbe des Blutes und des Feuers. Die Beobachtung, wie ein Lebewesen durch Blutverlust seine Lebenskraft verliert, ließ die Menschen schon früh darauf schließen, dass das Blut Träger der Lebensenergie sei. So symbolisiert Rot ebenso die Lebendigkeit des Blutes wie sein todbringendes Vergießen. Feuer vertreibt Dunkelheit und Kälte, lässt den Menschen in der Nacht sehen, doch die zerstörerische Kraft des Feuers bleibt unkontrollierbar und bedroht Leben und Besitz. Rot ist die Farbe der Liebe und Leidenschaft ebenso wie die Farbe des Zorns und der Scham.

Das hebräische Wort für Rot, adom, lässt sich von derselben Wurzel ableiten wie das Wort »Adam« (Mensch) und »Dam« (Blut). Das Wort adom deckt im Sprachgebrauch der Tora das gesamte Farbspektrum von Blutrot bis Rotbraun ab. Neben diesen natürlichen Rottönen kennt die Tora ebenfalls den Farbton Schani, der mit Karmesinrot übersetzt wird und als Färbemittel aus den Eiern einer Wurmart gewonnen wurde.

Edom Die Tora schreibt, Jakows Bruder Esaw sei am ganzen Körper von rotem Haar bedeckt gewesen (1. Buch Mose 25,25). Er, der sein Erstgeborenenrecht für ein (rotes) Linsengericht an seinen jüngeren Bruder Jakow verkaufte (27, 1–40), wird in der Schrift und der rabbinischen Literatur als wild und blutbefleckt beschrieben. Er ist der Stammvater Edoms (abgeleitet von adom – rot), als der später die Unterdrücker Israels, das Römische Reich und die katholische Kirche, bezeichnet wurden. Die roten Fahnen der römischen Legionen und die roten Roben des katholischen Klerus erschienen den Juden gefärbt durch Blutvergießen und Sünde.

Rot als Symbol für die Sünde findet sich auch im Tanach wieder. Der Prophet Jeschajahu schreibt: »Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden« (1,18). Diese Wandlung der roten Sünde in weiße Unschuld findet auch im Ritual des Sündenbocks Ausdruck. Der Bock, der mit den Sünden Israels in die Wüste getrieben wird, trägt einen roten Wollfaden um die Hörner.

Die rote Wolle symbolisiert die Sünden der Menschen, die der Bock aus dem Bereich des Lebens, der Stadt Jerusalem, in den Bereich des Todes, die Wüste, trägt (3. Buch Mose 16, 7–10). Maimonides, der Rambam (1135–1204), berichtet in seinem Werk Mischne Tora, dass während dieses Rituals ein weiterer karmesinrot gefärbter Wollfaden am Tor des Tempels befestigt wurde, der in dem Moment weiß wurde, als der Bock die Wüste betrat.

Faden Der karmesinrote Faden taucht auch im Buch Jehoschua auf. Israels Kundschafter, die die Stadt Jericho ausforschten, fanden vor dem König der Stadt im Haus der Hure Rahab Schutz, weil sie die Wunder in Ägypten vom Glauben an den Gott Israels überzeugt hatten. Die Kundschafter versprachen Rahab, ihr Leben zu verschonen, wenn die Stadt eingenommen würde. Als Zeichen sollte sie eine karmesinrote Schnur aus dem Fenster hängen, damit die Eroberer ihr Haus erkennen (2, 1–22).

Diesen drei Geschichten ist das Motiv der Sünde gemein: Edom versündigt sich durch Blutvergießen und straft gleichzeitig Israel für seine Sünden. Der Bock trägt die rote Sünde der Menschen aus ihrer Mitte. Und Rahab hatte durch Beruf und Götzendienst gesündigt. Als sie sich jedoch zum Gott Israels bekannte, wurde ihr vergeben, und ihre Familie blieb als einzige in Jericho am Leben. In ihrem Fall ist der rote Faden kein Zeichen der Sünde mehr, sondern ein Zeichen des Lebens – genauso wie das Blut an den Torpfosten der Häuser Israels in Ägypten den Geist Gottes abhielt, die Erstgeborenen zu töten.

Seit einigen Jahren ist es sehr verbreitet, ein rotes Bändchen ums linke Handgelenk zu tragen. Manche Charedim verschenken es gegen eine kleine Spende an Touristen. Es soll vor »dem bösen Blick« schützen. Der kabbalistischen Tradition folgend stecke in dem Band die mystische Energie unserer Erzmutter Rachel, denn es soll angeblich sieben Mal um ihren Sarg gelegt worden sein.