»Mosche empfing die Tora am Sinai und übergab sie Joschua, Joschua den Ältesten, die Ältesten den Propheten, und die Propheten übergaben sie den Männern der Großen Versammlung« (Pirkej Awot). Nach rabbinischem Verständnis wurde die Tora am Berg Sinai als unteilbares Ganzes übergeben und wird als solches von Generation zu Generation tradiert.
Dazu gehören nicht nur die Schriften des Tanach, sondern auch Mischna und Talmud, die mündliche Tora. Sie sind also von Beginn an Bestandteil dieser Offenbarung und nicht Produkt späterer Entwicklungen.
Autoritäten Der Babylonische Talmud wurde um das Jahr 500 n.d.Z. im Zweistromland zusammengestellt und bildet bis heute die Grundlage jedweder Diskussion über jüdisches Recht. Im Talmud beantworten unsere Weisen zum Beispiel die Frage, ob ein Jude am Schabbat ein Pferd reiten darf, mit Nein: Ein klares Verbot, das keiner weiteren Diskussion bedarf.
Vor etwa 100 Jahren begann das Auto seinen Siegeszug um die Welt und gelangte auch in die Garagen jüdischer Häuser. Sollte man es für den Schabbatausflug nutzen? Auf diese und ähnliche Fragen fand sich keine Anweisung im Talmud, und die halachischen Autoritäten der Gegenwart mussten auf die modernen Herausforderungen Antworten im Geiste der Tora finden.
Einen Gelehrten, der die Halacha auslegt und Entscheidungen fällt, nennt man Posek. Seine Entscheidung wird als Psak Din bezeichnet. Ein Psak Din ist erforderlich, wenn kein Präzedenzfall existiert, weil zum Beispiel das Auto erst kürzlich erfunden wurde.
Der Posek ist angehalten, bei seiner Entscheidungsfindung einem festgelegten Schema zu folgen, um seiner Entscheidung Legitimität zu verleihen: Zunächst sucht er im Talmud nach Anhaltspunkten und gräbt sich der Spur folgend durch die jüdische Literaturgeschichte in Richtung Gegenwart.
Er beruft sich dabei sowohl auf Responsen, also auf Antworten früherer Poskim, auf Fragen, die an ihn herangetragen wurden, als auch auf Werke, in denen jüdisches Recht zusammengefasst darstellt wird, wie zum Beispiel auf den Schulchan Aruch. Jede neue Auslegung jüdischen Rechts muss der Tradition gemäß auf den vorhergegangenen Exegesen fußen. Nur wenn die früheren Poskim keine Entscheidung in diesem Fall getroffen haben, fällt der heutige Posek sein Urteil. Trifft es auf Zustimmung, reiht es sich in den Kanon der Responsen ein.
Entscheidung Ein Auto ist kein Pferd. Kann man am Schabbat also bedenkenlos Gas geben? Die orthodoxe Antwort lautet: Nein. Wie kommt es zu dieser Entscheidung, wo doch Tora und Talmud keine Autos kennen? Dreht man den Zündschlüssel, kommt es zu Funkenschlag – und Feuer am Schabbat zu entfachen, untersagt uns die Tora.
Das Fahrrad klingt nach einer vielversprechenden Alternative. Es ist weder Pferd noch Auto und umweltfreundlich noch dazu. Aber die Gemara sagt, man solle am Schabbat nicht auf dieselbe Weise gehen wie an den Wochentagen. Die Poskim leiteten daraus das Verbot ab, am Schabbat zu rennen.
Und der vor anderthalb Jahren verstorbene sefardische Oberrabbiner Israels, Ovadia Yosef, weitete dieses Verbot auf das Radfahren aus. Der Gründer des bekannten orthodoxen Rabbinerseminars in Berlin, Esriel Hildesheimer, hielt das Radfahren für problematisch, da es Vertiefungen im weichen Untergrund hinterließe, die als verbotenes Pflügen gewertet werden könnten. Ginge das Fahrrad zudem kaputt, wäre es verboten, es zu reparieren.
Rabbi Yosef Chayim aus Bagdad hingegen hielt das Radfahren innerhalb eines bestimmten Bereichs der Stadt für unbedenklich, repräsentiert jedoch mit seiner Meinung nur eine Minderheit.
Letztlich bleibt es jedem selbst überlassen, ob er sich für oder gegen eine Radtour am Schabbat entscheidet. Ein Psak Din ist eine Auslegung der Halacha und kein Gebot der Tora. Es liegt im persönlichen Ermessen jedes Einzelnen, ob er ihr folgen will oder nicht.