Der Begriff Pikuach Nefesch (wörtlich: »ein Leben retten«) basiert auf dem Grundsatz, dass die Erhaltung des menschlichen Lebens fast jedes andere unserer Religionsgesetze außer Kraft setzt. Wenn das Leben einer Person in Gefahr ist, darf beinahe jedes Verbot der Tora übertreten werden.
Es ist bekannt, dass das Judentum das Leben wertschätzt. Wir glauben daran, dass alle Menschen G’ttes Geschöpfe sind. Die Gebote und Anordnungen im Judentum wurden erschaffen, um das Leben eines jeden Menschen zu behüten, zu bewahren und zu erhalten – wie unsere Weisen gesagt haben: »Wer auch nur eine Seele rettet, rettet eine ganze Welt.«
Der Begriff »Pikuach« kommt von dem Wort »pokei’ach«, das wir in der Bracha »Pokei’ach Iwrim« finden. In diesem Segensspruch loben wir G’tt dafür, dass er die Augen der Blinden öffnet, sie sehend macht. Demnach bedeutet Pikuach Nefesch: die Augen öffnen oder Angelegenheiten der Seele beaufsichtigen, also über das Leben eines Menschen zu wachen.
Schabbat Der Talmud (Joma 84b) erörtert eine Reihe von Fällen als Beispiele dafür, wie von der Tora angeordnete Verbote aufgehoben werden, wenn es darum geht, Leben zu retten. Eine der größten Mizwot ist Schmirat Schabbat, die Einhaltung der Schabbatgebote: »Darum haltet meinen Schabbat, denn er soll euch heilig sein« (2. Buch Mose 31,14).
Doch um das Leben eines Menschen zu retten, ist in den folgenden Fällen, die als »lebensbedrohliche Situationen« beschrieben werden, das Arbeitsverbot aufgehoben: die Rettung eines Kindes aus dem Meer; eine Wand abtragen, die über einem Kind zusammengestürzt ist; eine Tür aufbrechen, hinter der ein Kind gänzlich eingeschlossen ist, und Feuer zu löschen, um dadurch Leben zu retten. Ebenso verhält es sich, wenn es um eine schwangere Frau geht, die in den Wehen liegt.
Jom Kippur Am Jom Kippur ist es einer kranken Person untersagt zu fasten, wenn dies ihre Genesung beeinträchtigt. In anderen Fällen, wenn man nicht sicher ist, ob es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelt, sollte man seinem Herzen folgen und das tun, was man gefühlsmäßig tun muss.
Nicht nur Pikuach Nefesch hebt die Schabbatverbote auf, sondern auch ein »Safek Pikuach Nefesch«, das heißt ein Anhaltspunkt für Pikuach Nefesch, wenn auch nicht ohne Schatten eines Zweifels. In der Tat gilt dies sogar in einer Situation, wenn mehrere mögliche Zweifel bestehen, zum Beispiel, wenn ein Gebäude zusammenbricht und wir nicht wissen, ob sich zu der Zeit jemand darin befunden hat. Die Halacha sagt, dass wir nichts unterlassen dürfen, um diese Person zu retten (Mischna Berura 328,17).
Auch wenn eine Person an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet und wir nicht sicher sind, ob ein bestimmtes Medikament oder Heilverfahren helfen wird, müssen wir die Schabbatverbote übergehen, um zu versuchen, ein Leben zu retten (Schulchan Aruch, Orach Chajim 328,2). Dies liegt daran, dass die Mizwa von Pikuach Nefesch nicht notwendigerweise angeordnet wurde, um den Patienten zu heilen. Vielmehr besteht die Mizwa darin, zu versuchen, ein Leben zu retten.
Einschränkungen Obwohl die Halacha bezüglich der Rettung von Menschenleben sehr klare Aussagen macht, gibt es drei Einschränkungen, die man nicht übergehen darf, auch wenn das Leben in Gefahr ist. Wenn ein Jude zum Götzendienst, zum Blutvergießen oder zum Beischlaf mit nahen Verwandten gezwungen wird, muss er eher sein Leben opfern, als dass er die Halacha bricht.