»Drei Dinge sind der Vorgeschmack auf die kommende Welt, die Olam haba: der Schabbat, das Licht der Sonne und Sexualität« (Talmud Berachot 57b). Wenn man Purim und die Verpflichtung hinzuzählt, auch einmal etwas über den Durst zu trinken, dann gewinnt man schon ein ganz gutes Bild davon, wie das Judentum zu »weltlichen« Genüssen steht. Alles ist erlaubt und soll auch genossen werden, natürlich innerhalb gewisser Grenzen.
gelübde Vor diesem Hintergrund besticht der »Nasir«. Der begegnet uns bereits in der Tora. Im 4. Buch Moses 6, 2–11 wird beschrieben, was einen Nasir ausmacht. Ein Nasir widmete sich durch ein Gelübde völlig G’tt. Das bedeutete laut Tora, dass er auf Wein und alle anderen Traubenprodukte verzichtete, sein Haar nicht schnitt und den Kontakt zu Toten mied. Dieses Gelübde konnten sowohl ein Mann als auch eine Frau ablegen. Sie war dann eine »Nasira«.
»Nasir« kommt von dem Verb »nasar«, das bedeutet: etwas absondern, um es zu heiligen. Dieser Status galt nur für eine bestimmte Zeit. Hier hören die Einschränkungen jedoch auch schon auf. Aus dem gewohnten Lebensraum zog der Nasir sich nicht zurück, und auch auf Sexualität musste er nicht verzichten. Die Nasirim waren also keine Asketen, auch wenn das bei oberflächlicher Betrachtung so erscheinen könnte.
zeitraum Der Talmud-Traktat Nasir beschäftigt sich ausführlich mit allen Aspekten, die damit zusammenhängen. Wurde der Zeitraum durch denjenigen, der das Gelübde ablegte, nicht genauer bestimmt, galten 30 Tage als Standard (Mischna Nasir 1,3). War dieser Zeitraum abgelaufen, kehrte man wieder zum Alltag zurück. Davor stand jedoch ein Sünd- und ein Friedensopfer im Tempel. Anschließend musste der Nasir sein Haar scheren und es im Tempel verbrennen. Das erklärt sogleich, welche Bedeutung und Auswirkung diese Einrichtung heute hat.
Natürlich kann man sich heute leicht verpflichten, ein Nasir zu sein. Immerhin reicht dazu eine mündliche Willenserklärung aus. Problem ist nur, dass der Tempel leider nicht mehr existiert. Es ist also nicht möglich, die vorgeschriebenen Opfer zu bringen. Wer sich dazu verpflichtet, tut dies also tatsächlich auf Lebenszeit oder hofft, dass der Tempel bald wieder aufgebaut wird. Rabbi David Cohen (1887–1972), ein Schüler des Oberrabbiners von Eretz Israel, Rabbi Abraham Jitzchak Kook (1865–1935), legte nach seiner Alija den Schwur ab und lebte fortan als Nasir – ohne Rückfahrkarte, wenn man so will.
Obwohl diese Einrichtung in der Tora »heilig« genannt wird, wird das nicht von allen Weisen des Talmuds gleichermaßen begrüßt. Rabbi Schimon HaZaddik etwa wollte nicht an den Opfern teilnehmen, die durch jemanden dargebracht wurden, um die Zeit zu beenden (Nasir 4b und Nedarim 9b).
antrieb Es ist eine Frage der Interpretation, warum eine Person für die Zeit als Nasir ein Sündopfer bringen musste. Entweder, weil die Person die Zeit als Nasir beendet, oder weil man sich aus eigenem Antrieb erlaubten Genüssen entzogen hat?
So deutet der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) die oben genannte Stelle in der Tora. Er meint, das Opfer sei notwendig, weil man sich dem Weingenuss entzogen hätte. Ebenso verhält es sich mit dem Warum für diese Einschränkungen. Offenbar verlangen einige Menschen danach, ihr »spirituelles Engagement« zu vergrößern. Aber in erster Linie sollen sie genießen, wie wir eingangs sahen.