Das Kaddisch gehört zu den bekanntesten jüdischen Gebeten. Wo immer ein Minjan zusammenkommt, ist es ein wiederkehrender Bestandteil. Während der täglichen Gebete begegnen uns verschiedene Varianten. Da gibt es das »Halb-Kaddisch«, das gesprochen wird, um einen Abschnitt innerhalb des Gebets zu beenden und einen anderen einzuleiten. Nach der Wiederholung der Amida, des Achtzehngebets, wird hingegen das »Voll-Kaddisch« (auch Titkabel genannt) gesprochen.
Dann gibt es das Kaddisch der Rabbinen (Kaddisch de Rabbanan), das einen Abschnitt abschließt, der sich mit der mündlichen Lehre beschäftigt. In der Synagoge spielt dann noch das Trauer-Kaddisch eine Rolle, das Angehörige von Verstorbenen während der Trauerzeit oder zur Jahrzeit sprechen.
Im Siddur steht an der jeweiligen Stelle, welche Variante des Kaddischs gebetet wird. In einigen Gebetbüchern wird zudem noch angegeben, welche Bewegungen man gemeinhin zu den verschiedenen Gebeten ausführt. In vielen Synagogen und Gemeinden steht man während des Kaddischs. Und in einigen wird ganz unmissverständlich dazu aufgefordert, sich doch bitte schön zu erheben.
Sefardisch Wer gelernt hat, beim Kaddisch zu stehen, wird möglicherweise verstört sein, wenn er sieht, dass andere einfach sitzen bleiben. Doch wer in seinem Leben schon in verschiedenen Synagogen gebetet hat, ist gelassener und wird vielleicht begreifen, warum er selbst beim Kaddisch steht. Tatsächlich ist es nämlich so, dass manche sefardischen Juden während des Kaddischs sitzen bleiben.
Um die Frage zu beantworten, warum Aschkenasim beim Kaddisch stehen, kommt man nicht an Rabbi Mosche Isserles (1525–1572) vorbei. Dieser lebte in Krakau und schrieb in Darchej Mosche, seinem Kommentar zum Schulchan Aruch, dass es richtig sei, während des Kaddischs zu stehen und begründet es mit einem Verweis auf eine Stelle im Talmud Jeruschalmi. Dort wird vom Zusammentreffen des Moabiterkönigs Eglon mit Ehud, dem Richter, berichtet. Eglon stand von seinem Thron auf, als Ehud zu ihm sagte: »Ich habe eine Nachricht von G’tt für dich« (Richter 3,20).
Nach Rabbi Mosche Isserles lernen wir daraus, dass man aufsteht, wenn man heilige Worte hört (dawar sche beKeduscha). Und heilige Worte seien eben auch das Kaddisch. Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn also selbst ein nichtjüdischer König aufsteht, wie viel mehr sollte es dann ein Jude tun? Allerdings ist die Quelle im Talmud Jeruschalmi leider nicht zu finden. Doch Rabbi Isserles’ Begründung erscheint durchaus plausibel.
Eine weitere Quelle ist die Mischna Berurah (Orach Chajim 56,8) von Rabbi Jisrael Meir Kagan (1838–1933). Er legt fest, dass man sich nicht setzen darf, wenn das Kaddisch gesprochen wird. Wenn man allerdings schon sitzt, kann man sitzen bleiben. Doch sei es verdienstvoll zu stehen.
Das Prinzip, nur dann zu stehen, wenn man ohnehin bereits steht, und sich nicht speziell fürs Kaddisch zu erheben, entspricht dem sefardischen Brauch. Wenn etwa das Kaddisch dem Hallel folgt, bleibt man stehen, sonst behält man Platz.