Glossar

Hester Panim

Er verbirgt Sein Angesicht: Hester Panim Foto: Thinkstock

Purim – die Kinder lieben es, sich zu verkleiden, und auch wir Erwachsene erfreuen uns an Maskenspiel und fröhlichem Feiern. Dabei ist das Buch Esther, das an Purim im Mittelpunkt steht, zwar ein beinahe märchenhafter Text, doch vermittelt es eine ernsthafte Botschaft, verborgen in einem Wortspiel: Esther – Hester. Auch der Ewige bleibt verborgen in diesem Buch, Sein Name wird kein einziges Mal genannt – und doch ist Er von Anfang bis Ende dabei, auch wenn man Ihn nicht sieht, denn Er »verbirgt Sein Gesicht«. Das ist die Bedeutung von Hester Panim.

Wie oft will es uns scheinen, der Ewige habe Sein Gesicht vor uns verborgen? Wir sehen Ihn nicht mehr; oder ist Er vielleicht gar nicht da? Um uns herum geschehen Dinge, bei denen wir uns fragen: Wie kann der Ewige so etwas zulassen? Das ist jedoch eine kindliche Vorstellung. Zwar ist es so, dass Er alles sieht und um alles weiß. Er hat dem Menschen aber auch einen freien Willen gegeben, und der Mensch kann sich entscheiden, das Gute oder das Schlechte zu tun. Leider zieht er häufig das Letztere vor.

kleinkind
Erwarten wir nun wirklich, dass der Ewige beständig und ohne Unterlass dort eingreift, wo sich eines seiner Geschöpfe gerade anschickt, einem anderen zu schaden? Manchmal sind es ja auch ganz harmlose Dinge, die später zu etwas Negativem führen. Soll uns der Ewige tatsächlich an der Hand führen wie eine Mutter ihr Kleinkind?

Nein, der Ewige will, dass wir freie und mündige Geschöpfe sind. Dafür hat Er uns auch Regeln gegeben. Die Tora (5. Buch Mose 31, 16–18) sagt uns deutlich, was passiert, wenn wir diese Regeln, unseren Bund mit dem Ewigen, brechen: Er wird zürnen. Leiden und Not werden uns, Sein Volk, treffen, und Er wird Sein Gesicht vor uns verbergen: Haster astir panaj.

konsequenz
Was bedeutet das? Manche legen dies so aus, dass der Ewige sich abwendet, damit Er in Seiner Barmherzigkeit nicht Seine Strafen für unsere Übertretungen verhindert. Andere schließen sich der Auffassung des Rambam (1135–1204) an. Er versteht die Leiden als Konsequenz aus der Distanz, die durch das Verbergen des Gesichts zwischen dem Ewigen und den Menschen entstanden ist – ein Mangel an Haschgacha, an g’ttlicher Vorsehung und Aufsicht also, wodurch uns das Leiden dann erst begegnen kann.

Die Schuld daran können wir aber nicht dem Ewigen zuweisen; es ist unser eigenes Verhalten, das uns vom Ewigen entfernt. Im eigentlichen Sinne wären also wir es, die unser Gesicht vor dem Ewigen verbergen, so wie sich Adam und Chawa nach dem Essen der verbotenen Frucht vor Ihm verborgen haben.

Ähnlich drückt es auch Abraham Joshua Heschel (1907–1972) aus, wenn er sagt, dass sich G’tt nicht freiwillig abgewendet hat, sondern (von uns) vertrieben wurde: »G’tt befindet sich im Exil.«

Kummer Und wenn es nun so wäre, dass der Ewige Sein Gesicht verbirgt – warum tut Er das? Wirklich aus Zorn oder aus Gleichgültigkeit? Oder aus Kummer über unser Verhalten? Im Talmud (Chagiga 5b) lesen wir: »Aber wenn ihr nicht darauf hört, dann wird meine Seele im Verborgenen weinen (Jirmijahu 13,17). Der Heilige, gepriesen sei Er, hat einen Ort, der ›Verborgenes‹ (Mistarim) heißt.«

Der Ewige verbirgt Sein Gesicht, um zu weinen – aus Empathie mit uns. Oder vielleicht will Er mit Hester Panim erreichen, dass wir nach Ihm suchen, Ihn wiederfinden wollen, im Sinn von Teschuwa?

Sieht uns also der Ewige nicht, weil Er sich verbirgt, oder sehen wir Menschen Ihn nicht und meinen daher, Er sei verborgen? Tröstlich ist in jedem Fall die Botschaft der Esther-Geschichte: Auch wenn der Ewige vermeintlich verborgen ist, so ist Er dennoch anwesend und kann immer noch eingreifen – und sei es durch ein Wunder.