Hakarat HaTov» ist die Pflicht, das Gute, das man von anderen empfängt, anzuerkennen. «Hakara» geht auf das hebräische Verb «lehakir» zurück. Es bedeutet «erkennen», «anerkennen» oder «sich mit etwas vertraut machen». «HaTov» ist «das Gute».
Diese Verpflichtung bedeutet nicht, sich lediglich daran zu erinnern, «danke» zu sagen, sondern Wohltaten, die man erhalten hat, auch als solche wahrzunehmen. Hakarat HaTov erstreckt sich nicht nur auf unsere Mitmenschen, sondern auch auf die Natur, und ist somit eine Form des jüdischen Umweltschutzgedankens. Wie können wir die Natur beschädigen, wo sie doch so viel zu unserem Lebenserhalt beiträgt?
Zehn Plagen Die beiden ersten der Zehn Plagen, die von Blut und Fröschen, wurden dadurch initiiert, dass Aharon mit seinem Stab auf das Wasser des Nils schlug. Wohlgemerkt, es war Aharon und nicht Mosche. Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) erklärt, dass es für Mosche einen Mangel an Dankbarkeit dem Wasser gegenüber bedeutet hätte. Denn das Wasser des Nils hatte ihn, während er als Säugling in einem Körbchen ausgesetzt wurde, zur Tochter des Pharaos, seiner Retterin, befördert. G’tt gab Mosche hier eine wichtige Lehre: die Dankbarkeit nicht nur gegenüber Menschen.
Neulich las ich von einer Geschichte, die einst ein Rabbi erzählte. Sie handelt von zwei G’ttesboten, die zur Erde herabsteigen. Jeder der Boten hat einen Korb in seiner Hand. Immer, wenn ein Mensch betet, halten sie inne. Bald wird der Korb des einen immer schwerer, während der Korb des anderen fast leer bleibt. Im Korb des einen Boten befinden sich Bittgebete, im Korb des anderen Dankgebete.
Der Unterschied zwischen den Körben lag darin, dass Menschen immer bereit sind, etwas zu erflehen, aber nur wenige daran denken, G’tt dafür zu danken, wenn Er ihre Gebete erhört hat.
Ein modernes Beispiel für Hakarat HaTov ist das von Rabbi Jisrael Zeev Gustman (1908–1991), dem Leiter der Jeschiwat Netzach Jisrael, der die Büsche vor der Jeschiwa persönlich zu bewässern pflegte. Bei seiner Flucht aus Wilna vor den Nazis hatte er sich hinter einigen Büschen versteckt. Seit dieser Zeit fühlte er Dankbarkeit gegenüber Büschen, sei es in Wilna oder in Jerusalem.
Erzmutter Lea Es gibt wohl keine Empfindung, die für das Judentum von grundlegenderer Bedeutung ist, als für das Gute, das andere für uns tun, dankbar zu sein. Das Wort für Juden auf Hebräisch, «Jehudi», stammt von dem Verb «lehodot», danken, und geht zurück auf unsere Erzmutter Lea, die G’tt für die Geburt ihres vierten Sohnes dankt: «Als sie schließlich ihren vierten Sohn zur Welt brachte, sagte sie: ›Jetzt will ich dem Herrn danken‹, und nannte ihn Jehuda» (1. Buch Mose 29,35).
Gäste des Herrn sind wir auf dieser Welt, und daher müssen wir unser Bestes geben, um gute, angenehme Gäste zu sein. Es stimmt, dass Er die Sonne, den Mond, Früchte und Bäume auch für andere Lebewesen erschaffen hat. Aber der Mensch muss es so betrachten, als wären sie ihm gegeben, damit er sie genießen kann. Als Nutznießer ist es daher unsere Pflicht, G’tt mit einem Segensspruch für alles, das uns in dieser Welt zugutekommt, zu danken.
Ein Mann und seine Frau sollten idealerweise fähig sein, auf die gleiche Art und Weise zu fühlen. Ein Mann soll sich stets an den Tag seiner Hochzeit erinnern und das Gefühl haben, dass er immerwährend unter der Chuppa steht. Er soll nicht ständig seine Frau daran erinnern, was sie vielleicht falsch gemacht hat. Damit ist nicht gesagt, dass die Ehefrau nicht genauso in der Pflicht steht.
Während der Jahre, die uns zu leben zugeteilt werden, müssen wir unser Bestes geben, um uns unsere anfängliche Liebe in Erinnerung zu rufen, sie stets zu nähren und gedeihen zu lassen. Die Bereitschaft, stets mehr zu geben als zu nehmen, gilt, was Hakarat HaTov betrifft, nicht nur in der Ehe, sondern in allen Lebensbereichen.