Im Laufe der Jahrhunderte traten wiederholt charismatische Lehrer auf, die religiöse Erfahrungen über den üblichen Rahmen des G’ttesdienstes hinaus anstrebten. Von den kabbalistischen Zirkeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit über die chassidische Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zu populär-kabbalistischen Esoterikern heute spielte der Begriff Dwekut eine wichtige Rolle, wenn es darum ging, nicht nur G’ttes Gebote zu halten, sondern sich Seinem Wesen anzunähern.
Der Begriff Dwekut taucht in der Tora in Zusammenhang mit dem Wort G’tt siebenmal auf und lässt einige Möglichkeiten der Übersetzung zu: sich anschließen, anhaften, folgen. Durch lebendige Auseinandersetzung mit den Texten brachten die Weisen im Laufe unserer Geschichte eine Vielzahl von Deutungsansätzen hervor.
Aber kann man sich dem Höchsten anschließen, ihm anhaften? Und wenn ja, ist das erstrebenswert – und gemäß der Halacha? Die unmittelbare G’tteserfahrung ist seit jeher von unwiderstehlicher Anziehung für die Menschen, die nach dem Unbegreiflichen suchen.
Der Talmud fragt, wie man G’tt anhaften soll, wo Er doch ein »verzehrendes Feuer« sei. Die Antwort: Indem man die Tochter eines Gelehrten heiratet oder einen Gelehrten finanziell unterstützt.
Kabbala In der mittelalterlichen Kabbala stellt Dwekut die höchstmögliche Stufe der Spiritualität dar. Sie wird durch besondere Gebetsmeditationen erreicht und soll eine Annäherung an G’tt, wenn nicht gar die Vereinigung der Seelen mit Ihm herbeiführen. Der Mensch erreicht diesen höchsten spirituellen Status über ein Leben gemäß der Tora, genauer Kenntnis der geheimen Lehre sowie einer mystischen, meditativen Interpretation des Gebets.
Er bündelt die Gesamtheit seiner Kräfte, Gefühle und Gedanken in tiefster Konzentration und richtet sie auf das Mysterium G’ttes aus. Die Gedanken des Menschen sollen zu ihrem göttlichen Ursprung zurückkehren, seine Seele zum Höchsten streben. Übliche Meditationstechnik ist die Versenkung in einzelne Buchstaben, Worte oder Schriftverse.
Hingabe Die chassidische Bewegung des Baal Schem Tov (um 1700–1760) brachte kabbalistische Konzepte in die Welt der einfachen jüdischen Bevölkerung. Vielfach wurden kabbalistische Begriffe mit neuen, abgewandelten Bedeutungen gefüllt. Wo in der Kabbala Dwekut ein vorübergehender spiritueller Status des Anknüpfens und der Vereinigung mit G’tt darstellen sollte, wurde es in der chassidischen Tradition zu einem dauerhaften Ideal: Der Mensch soll jegliche noch so alltägliche Handlung in Heiligkeit tauchen und seine Gedanken auch außerhalb der Gebete ständig auf G’tt ausrichten, um eine nie abreißende Verbindung zu schaffen. Hierbei spielen nicht intellektuelle Fähigkeiten die entscheidende Rolle, im Vordergrund steht die emotionale Hingabe.
Es gibt heute im Judentum und darüber hinaus Kreise, die die Eindrücke des Gebets durch Musik oder Meditation zu verstärken suchen. Der postmoderne Mensch ist häufig zahlreichen Reizen gleichzeitig ausgesetzt: Er telefoniert, während er sein Auto in Richtung Supermarkt steuert und sich zu erinnern versucht, was er einkaufen wollte. Die ständige Erreichbarkeit und das Smartphone als mobiles Büro erhöhen den Stresspegel und halten unseren Geist stets im Geschäftsmodus.
Meditation In jüdischen Kreisen in den USA ist deshalb »Jewish Meditation« schon seit Jahren verbreitet. Die alten Praktiken der Buchstabenmeditation und der gemeinsame Gesang von Niggunim sollen heute vielleicht nicht mehr den Weg zur G’tteserkenntnis weisen, als Mittel gegen Alltagsstress verfehlen sie ihre Wirkung jedoch nicht.