Die meisten von uns verbinden das Chanukkafest mit dem Entzünden der Lichter, dem Spielen mit dem Sewiwon (Dreidel) und natürlich dem Verspeisen von Krapfen und Latkes. Unsere liturgische Tradition jedoch gebietet uns, das Al-HaNissim-Gebet einzufügen: »Diese Lichter zünden wir an ob der Wunder, Siege und allmächtigen Taten, die Du für unsere Vorfahren vollbracht hast durch Deine heiligen Priester.
An allen acht Chanukkatagen sind diese Lichter heilig, und es ist uns nicht erlaubt, sie zu benützen. Wir dürfen sie nur betrachten, um Deinem Namen zu danken, für Deine Wunder, für Deine Hilfe und Deine allmächtigen Taten.«
Wunder Im Al HaNissim, dem Gebet »für all die Wunder«, sprechen wir eine Danksagung aus, die an den Chanukkatagen in die Amida, das Achtzehngebet, wie auch ins Tischgebet eingefügt wird. Die Voraussetzung für die Aufnahme solcher Gebete finden wir in der frühesten Formulierung unserer Liturgie (Talmud Berachot 3,10). Wie der Name andeutet, beginnt das Gebet mit einem allgemeinen Ausdruck der Dankbarkeit für die Wunder, Befreiung und Erlösung, die uns durch G’tt zuteil wurden – und das nicht nur in den Tagen unserer Vorfahren, sondern ebenso heute.
Diese Einfügung beginnt mit ähnlichen Gebeten für das Purimfest und in neueren Gebetsbüchern auch für Jom Haazmaut, den Unabhängigkeitstag des Staates Israel. Die einzigartige Formulierung in jedem der Al-HaNisssim-Gebete erinnert uns an die Ereignisse, die zur Entstehung des jeweiligen Festes führten.
Rabbiner Ismar Elbogen (1874–1943), Professor am einstigen Breslauer und Berliner Rabbinerseminar und eine hoch angesehene Autorität auf dem Gebiet der Entstehung und Entwicklung der jüdischen Liturgie, meinte, dass der Text von Al HaNissim für Chanukka in unseren heutigen Siddurausgaben fast identisch ist mit der Version in den frühesten bekannten handschriftlichen Sammlungen jüdischer Gebete des großen Gelehrten Raw Amram aus dem neunten Jahrhundert.
Chanukka Interessant ist, dass der Autor des Al HaNissim, dessen Name uns nicht überliefert ist, in seinen Zeilen die Chanukkageschichte aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet als üblicherweise. Obwohl die Geschichte während der Zeit des Mattitjahu im zweiten Jahrhundert v.d.Z. spielt, ist es nach dem Al-HaNissim-Gebet G’tt allein, der verantwortlich zeichnet für die Überwindung des Reichs der Hellenisten, die unsere Vorfahren nicht nur zwingen wollten, G’ttes Wege zu verlassen, sondern sogar den heiligen Tempel in Jerusalem schändeten. Erst nach dem g’ttlichen Sieg sind Seine Kinder, so das Gebet, zu G’tt zurückgekehrt, um Sein Haus neu zu weihen und sich Seinem Heiligtum zu widmen.
Nirgends wird im Al HaNissim der Name von Jehuda, dem Makkabäer, erwähnt, noch hören wir von der Entdeckung des einzigen kleinen Krugs, dessen Öl zum Entzünden der Menora im neu geweihten Tempel auf wundersame Weise für acht Tage reichte. Der Grund für dieses Verschweigen könnte darin liegen, dass die Gelehrten des Talmud die Machterweiterung der Hasmonäer nicht guthießen, denn sie hatten die weltliche Herrschaft im jüdischen Land an sich gerissen, obwohl sie als Kohanim doch ausschließlich für den Tempeldienst bestimmt waren.
Makkabäer Es scheint, als ob der Autor von Al HaNissim die Rolle, die G’tt in der Geschichte und in unserem täglichen Leben spielt, unterstreichen will. Vielleicht ist die Lehre aus Al HaNissim, dass es das eigentliche Wunder von Chanukka war, den Kräften und Einflüssen, die die Assimilation der Juden herbeigeführt und dadurch unser geistiges Erbes bedroht hätten, Widerstand zu leisten und dass letztendlich das Judentum doch den Sieg davon tragen konnte. Durch die Leiden im Krieg der Makkabäer gegen die Hellenisten wurde dem Volk Israel G’ttes Kraft kundgetan. Es war der Impuls für eine nationale Wiedergeburt.