Glossar

Akdamut

Eine der bekanntesten liturgischen Dichtungen (Pijutim) ist das Akdamut, das am Schawuotfest rezitiert wird

von Rabbiner Avraham Radbil  18.05.2015 20:57 Uhr

Gläubiger beim Gebet Foto: Flash 90

Eine der bekanntesten liturgischen Dichtungen (Pijutim) ist das Akdamut, das am Schawuotfest rezitiert wird

von Rabbiner Avraham Radbil  18.05.2015 20:57 Uhr

Eine der bekanntesten liturgischen Dichtungen (Pijutim) ist zweifelsohne das Akdamut. Es wird am Schawuotfest, an dem wir den Empfang der Tora und der Mizwot feiern, rezitiert. Der Verfasser des Akdamut ist Rabbi Meir ben Rabbi Yitzchak. Er war Vorbeter in Worms und lebte im 11. Jahrhundert. Sein Sohn wurde, wie viele andere Juden in Europa, während der Kreuzzüge ermordet.

Rabbi Meir war ein großer Gelehrter und verfasste mehrere Gebetbücher. Er wird sogar an mehreren Stellen in den Kommentaren von Raschi und in den Tosafot zitiert. Er ist auch als Verfasser von 49 Pijutim bekannt, 40 in Hebräisch und neun in Aramäisch. Leider sind nur 15 davon überliefert.

Aramäisch Das Akdamut ist in einem sehr komplizierten Aramäisch geschrieben und enthält 90 Verse. Die ersten 22 Verspaare fangen mit den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets an. Die ersten Buchstaben der restlichen 46 Verse ergeben den Namen des Autors und einen Segen: »Meir, Sohn des Jitzchak, möge er in Tora und Wohltaten wachsen, Amen. Sei stark und fest« (Jehoschua 1,18).

Jeder der 90 Verse endet mit dem Suffix Taw und Alef, dem letzten und dem ersten Buchstaben des Alefbets. Das soll symbolisieren, dass der Zyklus des Toralernens endlos ist. Sofort, nachdem man die Tora beendet hat, soll man wieder von Neuem anfangen. Ein weiteres Symbol deutet auf die Zehn Gebote hin: So besteht jeder Vers aus genau zehn Silben.

Haftarot Das Akdamut enthält die wichtigsten Konzepte der Tora und des jüdischen Glaubens und gehört deshalb zu den beliebtesten Pijutim. Auch viele mystische Konzepte über die Macht G’ttes, die Erschaffung der Welt, die Größe des jüdischen Volkes und sein Leiden auf Erden, die Engel und die kommende Welt sind in der Akdamut enthalten. Zudem gibt es viele inhaltliche Verbindungen zu den Haftarot (Prophetenlesungen), die an den beiden Schawuottagen gelesen werden.

Wann genau das Akdamut in die Liturgie des Schawuotfestes aufgenommen wurde, ist nicht ganz klar. Das erste Mal begegnet es in Minhagej Maharil von Jakow ben Moses Moellin (1360–1427). Dort steht, dass die Akdamut an Schawuot sofort nach den beiden ersten Versen der Toralesung vorgetragen werden soll. Anscheinend war das etwa 400 Jahre lang üblich in Europa.

Unterbrechung Den Brauch, die Toralesung durch die Akdamut zu unterbrechen, hinterfragten jedoch im 15. und 16. Jahrhundert viele halachische Autoritäten. Nach insgesamt etwa 200 Jahren der Debatte wurde entschieden, die Akdamut vor der Toralesung zu sprechen, um sie nicht zu unterbrechen. Diese endgültige halachische Entscheidung wird dem Turej Sahav (David ben Schmuel haLevi, 1586–1667) zugeschrieben.

Leider verstehen heute nur noch wenige den Inhalt, die Bedeutung und die Relevanz der Akdamut. Deshalb wird sie in einigen Gemeinden kaum zur Geltung gebracht oder sogar ganz weggelassen. Vielleicht kann diese kleine Einführung dazu anregen, sich weiter mit diesem bedeutenden Text und seinen Kommentaren zu beschäftigen, damit dieser wunderschöne Brauch auch in Zukunft erhalten bleibt.