Eine jüdische Legende sagt, das Schicksal der Welt ruhe auf 36 Gerechten (Hebräisch: Lamed-Waw Zaddikim). Sie sind allerdings unbekannt oder verborgen. Dem liegt der hebräische Begriff »Zaddikim Nistarim« zugrunde, was so viel wie »verborgene Gerechte« bedeutet. Die Legende ist in den eher mystischen Dimensionen des Judentums verankert. Zur Verbreitung des Begriffs trug der Erfolgsroman von André Schwarz-Bart Der Letzte der Gerechten (1959) bei.
Lamedwawniks Auf die Frage, warum es gerade 36 Gerechte sind, antwortet der Babylonische Talmud im Traktat Sanhedrin mit dem Hinweis auf ein Wort des Propheten Jesaja: »Darum harrt der Ewige darauf, dass Er euch gnädig sei, und Er macht sich auf, dass Er sich euer erbarme. Denn der Ewige ist ein G’tt des Rechts. Wohl allen, die auf Ihn harren!« (30,18). Die Wörter »auf Ihn« im letzten Satz des Verses heißen auf Hebräisch »lo« und werden aus den Buchstaben Lamed und Waw gebildet. Hebräische Buchstaben sind zugleich Zahlenwerte. Lamed hat den Zahlenwert 30, Waw steht für die Zahl 6.
Die jiddische Sprache hat daher ein eigenes Wort für die verborgenen Gerechten geschaffen: Man nennt sie im populären Sprachgebrauch »Lamedwawniks«.
Die Zahl 36 ist eine Verdoppelung von 18. In der Gematria, einer Form der jüdischen Zahlenmystik, steht die Zahl 18 für das Wort »Leben«. »Chaj« bedeutet auf Hebräisch »lebendig«, »lebend« und setzt sich aus den Buchstaben Chet (8) und Jod (10) zusammen. Es entspricht also dem Zahlenwert 18. Die 36 steht demnach für »doppeltes Leben«.
Die talmudische Überlieferung kennt Meinungen, wonach es in jeder Generation 36 Gerechte auf der Welt gibt. Stirbt einer von ihnen, nimmt sofort ein anderer seine Stelle ein. Diese heiligen Personen sind verborgen. Niemand weiß, wer sie sind. Doch ihretwegen bewahrt G’tt die Welt, auch wenn der Rest der Menschheit noch so verkommen wäre – so die Tradition.
Mystik Die chassidische Mystik nimmt an, dass es die Aufgabe der 36 Gerechten in ihrem Leben ist, den Sinn und Zweck des Bestehens der Menschheit in den Augen G’ttes zu rechtfertigen. Falls einer der Gerechten seine wahre Bestimmung ahnt oder erkennt, muss er sterben, und seine Rolle wird sofort von einem anderen Gerechten übernommen.
Unsere volkstümlichen Legenden erzählen, dass die Lamedwawniks mystische Kräfte besitzen. Sie beschützen nicht nur die Welt, sondern sie können auch Katastrophen, Bedrohungen und Verfolgungen abwehren. Doch sobald ihre Aufgabe vollendet ist, kehren sie in die Anonymität zurück und verbergen sich wieder in einer jüdischen Gemeinde, in der sie als Zaddikim unbekannt sind. Es gibt aber auch etliche chassidische Geschichten, in denen die Anhänger ihren Rebben als einen der 36 Gerechten betrachten.
Die Lamedwawniks leben nach manchen Meinungen zerstreut in der gesamten Diaspora, ohne einander zu kennen. Und sie selbst wissen auch nicht, dass sie zu den 36 Gerechten gehören. Sollte aber jemand beanspruchen, einer der 36 Gerechten zu sein, wäre das der Beweis dafür, dass er es mit Sicherheit nicht ist. Denn die Zaddikim sind der Inbegriff der Bescheidenheit.
Da niemand weiß, wer die Lamedwawniks sind, sollte sich jeder Jude so verhalten, als ob er (oder sie) einer von ihnen sei. Dies spornt dazu an, ein frommes und demütiges Leben zum Wohle der Mitmenschen zu führen.