Nach dem fulminanten Auftakt der diesjährigen Jüdischen Kulturtage in Berlin mit dem New Yorker A-cappella-Ensemble Y-Studs wurde acht Tage lang ein abwechslungsreiches Programm geboten. Die Bandbreite der insgesamt 22 Veranstaltungen erstreckte sich dabei von Kabarett bis Kinderkonzert.
So wurde etwa am dritten Abend des Festivals zu einer laut Programmheft »multimedialen biografischen Collage« unter dem schlichten Titel »Ich, Kurt Weill« geladen. Für einen stimmungsvollen Einstieg sorgte Reinhard Schmiedel mit einem Piano-Medley, das von »Die Moritat von Mackie Messer« bis zu Weills späteren Broadway-Melodien reichte.
Der Lebenszeitraum des Dessauer Kantorensohnes wurde mit Dokumenten nachgezeichnet, die der Wissenschaftler Jürgen Schebera zusammengetragen hatte, darunter so interessante wie eine stumme Filmszene, die Kurt Weill mit Bertolt Brecht am Vorabend der Dreigroschenoper-Premiere zeigt.
David Broza und Ester Rada verwandelten die Synagoge Rykestraße in ein brodelndes Konzerthaus.
Wenig bekannte Kompositionen wie »In meinem Garten stehen zwei Rosen« des 15-jährigen Weill bis zu seinen weltberühmten Broadway-Melodien der 40er-Jahre wurden von Stefanie Wüst vorgetragen, in deren Opernsopran man sich zunächst einhören musste – die auf den Hintergrund projizierte Lotte Lenya (Weills Ehefrau und Protagonistin) hatte eine Mezzosopran-Stimme. Alles in allem war es ein kurzweiliger Abend, wobei sich manch Zuschauer fragte, weshalb Weills Synagogenmusik gänzlich unerwähnt blieb. Gerade auf Jüdischen Kulturtagen wäre diese erwähnenswert gewesen.
theater Schon zum dritten Mal brachte ein sechsköpfiges Ensemble um die Regisseurin Nadine Schori unter dem Titel »Lerne lachen, ohne zu weinen« ein Potpourri aus Liedern und Texten jüdischer Autoren auf die Bühne. Als dramaturgisches Konzept ist das zu wenig, wie sich gezeigt hat. Den Reaktionen des Publikums nach zu schließen, sind wohl die meisten ohnehin ins Renaissance-Theater gekommen, um den von Sharon Brauner, Karsten Troyke und deren Band dargebotenen Liedern (darunter eine eindrucksvolle jiddisch-hebräisch-englische Coverversion von »Yerushalijm shel zahav«) zuzuhören.
Der Schauspieler Georg Stephan brachte die 2132 Verse von Heines »Deutschland, ein Wintermärchen« auf die Bühne.
Ein Highlight war Kurt Tucholskys brillanter Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«, in dem die Weimarer Parteien aufs Korn genommen werden – mit sparsamen schauspielerischen Mitteln großartig gespielt von Boris Aljinovic. Als Running Gag des Abends mischte sich Kulturtage-Intendant Gerhard Kämpfe mit jüdischen Witzen ins Geschehen – und das machte er ziemlich gut.
Im Theater im Palais brachte der junge Schauspieler Georg Stephan die 2132 Verse von Heines Versepos Deutschland, ein Wintermärchen auf die Bühne. Weniger als Rezitation, vielmehr als differenziert gespielten, die Ich-Perspektive des Textes ernst nehmenden Theatermonolog. Eine Mammutaufgabe, die erstklassig bewältigt wurde. Ein Besuch der Aufführung ist sehr zu empfehlen und – da sie weiterhin auf dem Spielplan des Theater im Palais stehen wird – auch möglich.
soul Mit David Broza und Ester Rada sind zum 70. Geburtstag ihres Landes zwei israelische Superstars an die Spree gekommen. Sie verwandelten die Synagoge Rykestraße in ein brodelndes Konzerthaus.
Der Folk-Pop-Gitarrist und Songschreiber Broza zeigte an diesem Abend die ganze Breite seines musikalischen Repertoires, das er in mehr als vier Jahrzehnten aufgebaut hat – von hebräischen Balladen mit philosophischen Texten, temperamentvollen Flamenco-Rhythmen, wie er sie in seiner Kindheit in Spanien erlebt hat, bis zu musikalischen Weisen aus dem Maghreb. Insbesondere die Coverversion eines algerischen Songs aus den 50er-Jahren bewies die gemeinsamen Wurzeln von sefardischer und arabischer Musik.
Ein anderes Highlight war Kurt Tucholskys brillanter Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«.
Gegen Ende des Konzerts rissen bekannte hebräische Lieder (inklusive der Hatikwa) nicht nur die anwesenden Israelis von den Sitzen. Und wer David Broza und sein Quartett bislang nicht kannte, hat durch die fünf virtuosen Musiker einen Einblick in die israelische Musikszene erhalten.
Wie vielfältig diese ist, wurde auch am Abend darauf deutlich, als Ester Rada zum Abschlusskonzert des Festivals die Bühne betrat. Sie ist 30 Jahre jünger als ihr Musikerkollege und das Kind äthiopischer Einwanderer.
In ihren Liedern nimmt sie denn auch Anleihen bei der Musik aus deren Heimat auf. Auffällig war, dass sie ebenso unprätentiös auftritt wie einst Amy Winehouse, und dies mit einer ebenso gewaltigen Soulstimme. Doch Ethno-Pop ist offenbar nicht jedermanns Sache. Jedenfalls dauerte es eine kleine Weile, ehe sie ihr Publikum vereinen konnte.
Ausgerechnet mit einer stillen Ballade nur mit Gitarrenbegleitung gelang ihr das, ehe sie schließlich in einer wilden Finalnummer nahezu das gesamte Publikum zu rhythmischem Klatschen und zum Tanzen animierte.
gedenken Schon am Nachmittag des letzten Festivaltages wurde der Zerstörung der Köpenicker Synagoge vor 80 Jahren gedacht. Am Ort des damaligen Geschehens, als die Synagoge in der Pogromnacht vom 9. November 1938 zerstört wurde, sang Kantor Isaac Sheffer gemeinsam mit dem Jugendchor der Synagoge Pestalozzistraße unter der Leitung von Regina Yantian das Totengebet El Male Rachamim.
Ester Rada tritt so unprätentiös auf wie einst Amy Winehouse – und dies mit einer ebenso gewaltigen Soulstimme.
Dieser Gedenkveranstaltung schloss sich mit denselben Künstlern sowie dem Synagogal Ensemble Berlin ein Konzert in der dortigen Musikschule an, die den Namen Joseph Schmidt trägt. Der Name des jüdischen Tenors wird offenbar als Verpflichtung empfunden. So erklangen neben dem bekannten Repertoire der beiden Chöre vor allem jene Synagogal-Partien – fast ausschließlich vom Komponisten Louis Lewandowski –, die Joseph Schmidt einst aufgenommen und bekannt gemacht hatte.
Es ist dem Köpenicker Bezirksbürgermeister Oliver Igel zu verdanken, dass diese beiden Veranstaltungen überhaupt stattfanden. Der engagierte Kommunalpolitiker möchte damit einem vordergründigen Nazi-Image seines Bezirks entgegenwirken. Und welcher Rahmen wäre dafür passender als der von Jüdischen Kulturtagen?