Purim ist weit, auch die Jahreszeit der Karnevalisten ist noch nicht angebrochen, und doch tobten am Sonntag Prinzessinnen, Ritter, Hexen und Feen durch das jüdische Gemeindezentrum in Gelsenkirchen. Mit dem Musical »Schneewittchen und die sieben Zwerge« beteiligte sich die Gemeinde am »MärchenErzählFestival«, ein Projekt im Rahmen der Weltkulturhauptstadt »Ruhr.2010«. Die Zuschauer sahen dabei nicht nur vergiftete Äpfel, eine böse Königin und einen guten Prinzen, sondern auch, wie wichtig die Arbeit mit Kindern für die Zukunft einer Gemeinde ist.
vorbereitung Die bunten Ringelsocken hatten sich die meisten Zwerge schon zu Hause angezogen. In der Cafeteria ging dann die letzte Kostümprobe über die Bühne. Hier und da zupften die Mütter an den Kostümen ihrer Kleinen, bis die selbst ge-
nähten Kleider der 18 Darsteller perfekt saßen. Längst war der Moment verpasst, an dem Betreuerin und Musiklehrerin Viktoria Sarazinski, die mit den Kindern das Musical einstudiert hatte, noch hätte Einfluss auf die Aufführung nehmen können. Zu aufgeregt und wuselig waren die Kleinen, als dass sie noch lenkend hätte eingreifen können.
»Seit sechs oder sieben Monaten haben wir das Stück jetzt schon auf Deutsch geübt«, erzählt sie, selbst ein bisschen aufgeregt. Im Dezember führten es die Kinder bereits auf Russisch auf, und für die Übersetzung waren sie auch wieder leicht zu gewinnen. An jedem Donnerstag sangen, tanzten und schauspielerten sie ehrgeizig, gerade vier bis zehn Jahre alt. »Am schwierigsten war dabei ... na ja: alles. Ich wüsste jetzt nicht, was leicht war«, erzählt Viktoria Sarazinski von den Proben.
Der Grundstein für den Erfolg des Musicals war zu Beginn der Arbeiten längst gelegt. »Wenn die Kinder zwei, zweieinhalb Jahre alt sind, können sie zu uns in die musikalische Früherziehung kommen. Das Musical ist also das Ergebnis von vielen Jahren Arbeit. Und die Kinder haben schon Erfahrungen sammeln können«, erzählt Margarita Fuchs, die mit den ganz Kleinen in der Gemeinde arbeitet. »Wobei Erfahrung bedeutet«, ergänzt Viktoria Sarazinski, »dass sie nicht gleich weinen, wenn sie auf die Bühne gehen. Sonst fangen wir für jedes Programm aber immer wieder bei null an.«
profis Neben der ausgebildeten Sängerin Viktoria Sarazinski engagiert sich auch ein Ballettlehrer mit eigener Tanzschule in der Gemeinde. Dieses professionelle Umfeld überzeugt viele Eltern, den Nachwuchs mehrmals in der Woche zur Georgstraße zu bringen. »Auch wenn es den Kindern Spaß macht und sie viel Freude daran haben, sollen sie hier nicht nur mit den Betreuern herumalbern«, sagt Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Gemeinde.
Der Einsatz der Lehrer färbt schließlich auch auf die Eltern ab. Sie nähen aufwendige Kostüme und gestalten das Bühnenbild für die Aufführungen mit. Für die Schneewittchen-Aufführungen gestalteten sie Bäume und bauten ein kleines Haus.
Das Miteinander in der Gelsenkirchener Gemeinde funktioniert recht gut: Rund 40 Kinder und Jugendliche nehmen regelmäßig teil an den Freizeitangeboten, bei gerade 400 Mitgliedern. Und wenn der Förderverein dem Nachwuchs einen Ausflug ermöglicht, werden die Eltern ebenfalls einbezogen. Zuletzt ging es mit etwa 70 Personen auf einen Bauernhof. »Wenn wir auf so einem Ausflug dann zwischendurch mit den Eltern über jüdische Themen sprechen, wirklich nur kurz und ohne Druck, dann können wir sie nach und nach dafür interessieren«, erklärt Margarita Fuchs.
Nachfrage Die gute Kinder- und Jugendarbeit der Gemeinde hat sich inzwischen auch außerhalb herumgesprochen. Mitglieder erzählen ihren Freunden von den Angeboten, und die stehen bald vor der Tür. »Obwohl sie keine Juden sind, wollen sie ihr Kind dann zu uns schicken«, erzählt Judith Neuwald-Tasbach. »Das können wir selbstverständlich nicht unbegrenzt zulassen. Aber fünf Kinder haben wir so schon dazubekommen.« Wie passend, schließlich haben die Gebrüder Grimm neben den »Sieben Zwergen« auch noch »Die zwölf Jäger« und »Die zwölf Brüder« in ihrem märchenhaften Angebot.