Christoph Sattler ist Architekt und hat in München, aber auch an vielen anderen Orten des Landes, so etwas wie seinen beruflichen Fingerabdruck hinterlassen. Unzähligen Gebäuden hat er seinen charakteristischen Stempel aufgedrückt. Seit längerer Zeit bereits beschäftigt er sich aber mit einer Aufgabe, die er selbst als »große Herausforderung« bezeichnet: die Zurückverwandlung der leerstehenden Synagoge in der Reichenbachstraße in ihren ursprünglichen Zustand.
Es ist fast eine Ironie des Schicksals, dass es die beiden angrenzenden Häuser waren, die die Synagoge in der Pogromnacht des 9. November 1938 vor Brandschatzung und der völligen Zerstörung durch die Nazis bewahrten. Ein Brand hätte auch die beiden Häuser zerstören können, und das wollte man nicht. Sie befanden sich im Besitz linientreuer »Arier«. Innen dagegen wurde das damalige religiöse Zentrum der Juden in München komplett verwüstet.
Architekt Christoph Sattler kennt das Bauwerk aus dem Effeff, aber Farbfotografien im ursprünglichen Zustand existieren nicht. Mit detailgenauen Beschreibungen aus alten Zeitungen und anderweitigen Veröffentlichungen kann er sich trotzdem ein exaktes Bild machen. Außerdem lieferten ihm feine Probebohrungen und kleine, freigelegte Flächen an den Wänden weitere Erkenntnisse über die Farbtöne, die ursprünglich verwendet wurden. »Die Farbgebung hat große Bedeutung, denn sie hat der Synagoge ihren besonderen Charakter verliehen«, erläutert Sattler seine Sichtweise. Deshalb soll nach der Restaurierung wieder ein helles Türkisblau das Gotteshaus dominieren.
verein Rachel Salamander, renommierte Buchhändlerin, Autorin und stark engagiert im jüdischen Leben Münchens, will das triste Dasein der Synagoge in der Reichenbachstraße nach der Eröffnung des Gemeindezentrums und der neuen Ohel-Jakob-Synagoge am Jakobsplatz beenden. Schon vor zweieinhalb Jahren hat sie deshalb den gemeinnützigen Verein »Synagoge Reichenbachstraße e.V.« ins Leben gerufen und viele Mitstreiter gefunden, die das Dornrös- chendasein des ehemaligen religiösen Zentrums beenden wollen. »Es liegt an uns, in unserer historischen Verantwortung, dieses Gebäude zu retten«, sagte Rachel Salamander anlässlich der Vereinsgründung.
Die besondere Bedeutung der Synagoge hat mehrere Gründe. Christoph Sattler und seine beiden am Projekt beteiligten Kollegen Jörg Moser und Andreas Schindhelm betrachten sie vor allem aus dem Blickwinkel eines kundigen Architekten. »Die Synagoge in der Reichenbachstraße«, schwärmt er, »ist ein einzigartiges architektonisches Baudenkmal und im Stil der Bauhausmoderne entstanden. Sie hat einen eigenwilligen Charakter und ist einfach schön.«
Ihre Entstehungszeit liefert das Stichwort für eine weitere Besonderheit. 1931, als in der Reichenbachstraße die neue Hauptsynagoge ihre Pforten öffnete, hatten sich Antisemitismus, Unterdrückung und Ausgrenzung längst breitgemacht. Historischen Quellen zufolge war sie die letzte Synagoge, die vor 1945 errichtet wurde – aber auch die erste, die nach dem Krieg wieder öffnete.
Kosten Die akute Notlage, die damals in der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte, ist dafür verantwortlich, dass Christoph Sattler so intensiv auf Spurensuche gehen muss, um eine originalgetreue Restaurierung überhaupt planen und durchführen zu können. Die Folgen der Pogromnacht waren das eine Problem, fehlendes Baumaterial und Maschinen das andere. »Es war damals gar nicht möglich, die Synagoge in ihren Originalzustand zurückzuversetzen.
Es hat ja an allen Ecken gefehlt«, beschreibt Sattler die grundlegenden Schwierigkeiten, die nur notdürftige Reparaturen zuließen. Mit Ingenieuren und Bausachverständigen zusammen hat er die Synagoge inzwischen genauestens unter die Lupe genommen, um den Umfang der notwendigen Restaurierungsarbeiten einschätzen zu können. »Ich gehe von ungefähr sechs Millionen Euro aus«, beziffert er die Kosten für die Umsetzung der nicht billigen Rettungsaktion.
Auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch ist daran interessiert, dass für den baulichen Problemfall in der Reichenbachstraße eine angemessene und alle zufriedenstellende Lösung gefunden wird. Sie unterstützt die Bemühungen des Vereins und hat ihm kostenlos Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Eine enge Beziehung zur Synagoge und dem früheren Gemeindezentrum hat sie ohnehin. Viele Jahre war im Vorderhaus ihr Amtssitz als IKG-Präsidentin. Doch es gibt noch einen viel engeren, ganz persönlichen Bezug. Ihr Vater Fritz Neuland sel. A. war es, der unmittelbar nach Kriegsende die IKG in München neu mitbegründet hatte, viele Jahre deren Präsident war – und der Motor für die Wiedereröffnung der Synagoge im Jahr 1947.
Bauzeit 2017, in zwei Jahren, jährt sich dieses Ereignis zum 70. Mal. Christoph Sattler ist der Überzeugung, dass die Wiederherstellung der Synagoge in ihren Originalzustand bis zu dem Zeitpunkt beendet worden sein könnte. Bis dahin ist noch eine Menge zu tun.
Einige Arbeiten können nach Überzeugung von Christoph Sattler nur mit sehr fachkundigem und erfahrenem Arbeitspersonal ausgeführt werden. »Erfahrungen in der Kirchenmalerei könnten da unter Umständen sehr hilfreich sein«, erklärt der Architekt. Ganz schnell wird die Verwirklichung ohnehin nicht gehen. Seine Prognose: »Ich rechne mit einer Bauzeit von einem Jahr und der Fertigstellung im Frühjahr 2017.«