Es ist ein kurzer, einfacher Satz, den Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, immer wieder einmal als Credo in den Raum stellt: »Die Kinder sind unsere Zukunft.« Dass diese Aussage keine leere Floskel ist, sondern der Maßstab für die tägliche Arbeit in der Jüdischen Gemeinde, zeigt sich zum Beispiel immer dann, wenn sich das Schuljahr dem Ende zuneigt. Dann stehen im Gemeindezentrum die Kinder im Mittelpunkt.
Sowohl für die Sinai-Grundschule als auch für den IKG-Kindergarten haben die alljährlichen Abschiedsfeiern zwei unterschiedliche Seiten. Die eine ist mit ein bisschen Wehmut verbunden, weil »die Großen« im kommenden Jahr nicht mehr dabei sind, die andere Seite mit der Vorfreude auf einen neuen wichtigen Lebensabschnitt.
persönlich Für Anja Weigand-Hartmann, die Leiterin der Sinai-Schule, beinhaltete die Feier im Gemeindezentrum – die ein buntes Programm bot, das sich Eltern und Familienangehörige nicht entgehen ließen – auch noch einen ganz persönlichen Aspekt. »Ich bin vor vier Jahren hierhergekommen, und die Kinder, die jetzt verabschiedet wurden, waren die ersten Klassen, die ich von Anfang bis Ende begleiten durfte«, freute sie sich.
Ein weiterer Unterschied zu den Abschiedsfeiern der vergangenen Jahre war schmerzlicher Natur. Marcus Schroll konnte diesmal nicht mehr dabei sein. Der Religionswissenschaftler, Pädagoge und Co-Leiter der IKG-Schulen verstarb vor wenigen Wochen plötzlich und unerwartet. »Er wird den Kindern fehlen, und er wird der ganzen Jüdischen Gemeinde fehlen«, stellte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch traurig fest und befand sich damit in völliger Übereinstimmung mit allen, die Marcus Schroll sel. A. einmal begegnet waren und sich von seiner Überzeugung anstecken ließen, dass Jude sein auch Spaß machen muss.
Beim Festakt zur Eröffnung des Jüdischen Gymnasiums, der einzigen derartigen Schule in ganz Bayern, wurde mehrfach das pädagogische Konzept gelobt, das unter dem Dach der IKG entwickelt wurde, auch die Handschrift von Marcus Schroll sel. A. trägt und sich quer durch alle IKG-Einrichtungen wie Kindergarten und Sinai-Schule zieht. Das erste Jahr des Gymnasiums, darüber sind sich alle Beteiligten einig, war ein voller Erfolg. Das sieht auch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle so.
Darbietungen Für die kleinen Großen des Kindergartens, die ab September die Grundschule besuchen werden, ist das Gymnasium noch ein paar Jahre hin. Erst einmal beginnt die erste Klasse. Probleme sieht Irina Sokolov, Leiterin des Kindergartens, dabei nicht. Sie ist guter Dinge: »Ich denke, dass wir die Kinder auf den wichtigen neuen Lebensabschnitt gut vorbereiten konnten.« Den Beweis dafür traten die Kinder selbst an, die die Abschiedsfeier in ein buntes Fest verwandelten und für ihre Darbietungen und künstlerischen Werke den verdienten Applaus ernteten.
Einen Faktor, der in der ganzen jüdischen Gemeinde eine zentrale Bedeutung hat und dessen Fundamente im Bildungskonzept der IKG-Schulen fest verankert sind, sprach Anja Weigand-Hartmann bei der Feier der Sinai-Schule an: die Gemeinsamkeiten und der daraus resultierende gegenseitige Respekt. Um die Mechanismen und Zusammenhänge zu verdeutlichen, wählte sie den Vergleich mit einer Fußballmannschaft.
Zur Versüßung des Abschieds der Viertklässler hatten sich die Sinai-Schüler jede Menge einfallen lassen. Dazu gehörten unter anderem die eigens konzipierte Schulhymne auf Hebräisch, der Vortrag von Tora-Versen unter den »strengen« Blicken von Gemeinderabbiner Aharon Brodman sowie Tanz- und Theatereinlagen. Auf musikalische Weise verabschiedeten sich auch die Pädagogen von ihren Schülern, mit einem Bühnenauftritt des Lehrerchors.
jubiläum Die beschworene Gemeinsamkeit wurde mit dem Jüdischen Gymnasium als neuem »Bewohner« des Gemeindezentrums insofern gleich einmal auf die Probe gestellt, als dass etwas enger zusammengerückt werden musste, um den Gymnasiasten bis zur endgültigen Lösung geeigneten Unterrichtsraum bieten zu können. Das Jugendzentrum »Neshama« gehörte zu denen, die Platz abtreten mussten. Genug für die Zehnjahresfeier am vergangenen Sonntag blieb allemal übrig.
Hüpfburg, Sportquiz, Tischtennis, Basteln und andere Angebote waren der aktive Teil des Programms, die Spezialitäten aus dem koscheren Restaurant »Einstein« eher der genussvolle. Zur Kategorie erhöhter Kalorienwerte gehörte auf jeden Fall die Geburtstagstorte, die mit dem Logo »Neshama« dekoriert war. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und Projektleiterin Galina Ivanizky schnitten sie gemeinsam an.
Die zehnjährige Geschichte von »Neshama«, die mit der Eröffnung des Gemeindezentrums am Jakobsplatz verbunden ist, dokumentiert auch eine Ausstellung unter dem Titel Neshama, die Seele lebt im Foyer. Zu sehen sind Fotos von Ausflügen, Projekten und Workshops, die die Vielfältigkeit des Programms widerspiegeln und belegen, dass der Slogan keine Worthülse ist. »Neshama, die Seele lebt« stand auch vor zehn Jahren auf den T-Shirts der Chanichim. Eines davon konnte Galina Ivanizky noch auftreiben. Es kam bei der Feier in die Tombola.