Frau Witting, das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn ist in den vergangenen Wochen immer wieder in die Schlagzeilen gekommen. Unter anderem hieß es, Lehrer würden abwandern. Stimmt das?
Die Situation ist die, dass zu Beginn der Sommerferien der erste Lehrer – einer unserer beiden Musiklehrer – erklärt hat, dass er die Schule verlassen würde. Er ist in ein anderes Bundesland gegangen, wo er verbeamtet wurde. Schon längerfristig hatte er angekündigt, für den Fall, dass er ein entsprechendes Angebot bekäme, dieses anzunehmen.
Wie war das für die Schule?
Es hat uns sehr getroffen. Denn ein Lehrer alleine kann schließlich nicht in all unseren Klassen angemessenen Musikunterricht gewährleisten. Wir haben zwar Aushilfskräfte gefunden, aber auch diese können nur vorübergehend einspringen. Gerade bemühen wir uns darum, eine neue Lehrkraft einzustellen. Das ist nicht so einfach, denn auch in anderen Berliner Schulen wandern immer mehr Pädagogen aus finanziellen Gründen in andere Bundesländer ab. Mittlerweile hat jedoch das Land Berlin die Konditionen für junge Lehrer beträchtlich verbessert.
Profitieren Sie davon?
Zwischen den Gehältern, die die Jüdische Gemeinde den Lehrern zahlt, und denen der Angestellten im öffentlichen Dienst oder der verbeamteten Lehrer klafft eine enorme Lücke. Unsere Lehrkräfte fühlen sich benachteiligt und erwarten nun, dass sich die Jüdische Gemeinde den Bedingungen des Senats annähert.
Wie stehen die Chancen dafür?
Ich persönlich gebe die Hoffnung nie auf. Viele unserer Lehrkräfte arbeiten mit großem Engagement an dieser Schule. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die Kollegen selbst Familien haben, die versorgt werden wollen. Wenn die Bezahlung nicht stimmt, reichen Leidenschaft und Begeisterung alleine nicht aus. Und an diesem Punkt sind wir jetzt.
Welche Konsequenzen hat das?
Schon mehrere Lehrer haben nach Arbeitszeugnissen gefragt, weil sie, wenn sich die Gemeinde nicht bewegt, tatsächlich planen, in den Staatsdienst zu gehen. Der braucht dringend Pädagogen. Vor allem in Mangelfächern, zu denen nicht nur Mathematik und die Naturwissenschaften zählen, sondern zu denen auch Englisch und Musik gehören. Es wird für uns sehr schwierig, neue Lehrer zu finden. Denn warum sollte jemand an unserer Schule beginnen, der finanziell einen derart großen Nachteil hat? Ich denke, dass wir als Jüdisches Gymnasium eine ganz besondere Verpflichtung den Kindern gegenüber haben. Für uns sind Kinder ein besonders hohes Gut. Wo man auch hinsieht, wird zu wenig Geld in Bildung investiert. Aber gerade die Jüdische Gemeinde kann es sich nicht leisten, diesen Punkt zu vernachlässigen.
Wie ist das Verhältnis zur Gemeinde?
Am vergangenen Montag haben der Vertrauensrat und die Jüdische Gemeinde miteinander gesprochen. Wir hoffen, dass sich etwas bewegt. Die Lehrer und Eltern sind sehr enttäuscht, dass Versprechungen nicht eingehalten wurden.
Welche Versprechungen meinen Sie?
Im Frühjahr wurde angekündigt, dass es Gehaltserhöhungen geben würde. Das ist nicht geschehen. Auch der Zustand der Schule ist beklagenswert. Ich kenne viele staatliche Schulen, die in einem ebenso schlechten Zustand sind. Nichtsdestoweniger: Unsere Eltern zahlen Schulgeld, und sie erwarten, dass die Schule so ausgestattet ist, dass sich ihre Kinder hier wohlfühlen.
Sie haben sich darüber auch in einem Brief an den Gemeindevorsitzenden beschwert. Warum wurde das Schreiben so schnell publik gemacht?
Ich finde, man hat der Gemeinde keine Chance gegeben, auf meinen Brief zu reagieren. Er wurde schneller veröffentlicht, als ich eine Antwort bekommen konnte. Viele Dinge, die wir angemahnt hatten, was das Gebäude oder die Ausstattung angeht, wurden dann auch in Angriff genommen. Freitags ist dieser Brief erschienen, montags waren die Handwerker hier im Haus. Seitdem wurden stetig irgendwo irgendwelche Mängel beseitigt.
Also hat Ihre Beschwerde etwas gebracht?
Ja, aber unsere Schule braucht trotzdem eine Generalüberholung. Wir haben bereits viel in Eigeninitiative bewerkstelligen können. Das schweißt die Eltern- und Schülerschaft enger zusammen. Ich bin optimistisch, dass diese Schule der Gemeinde viel wert ist, dass die Bildung jüdischer Kinder der Gemeinde viel wert ist.
Haben Sie den Eindruck, dass das Gymnasium ein Spielball der Gemeindepolitik geworden ist?
Mich interessiert die Politik der Gemeinde nicht. Wir arbeiten hier nach unserem Schulprogramm – trotz der schwierigen Situation.
Von der die Schüler nichts bemerken?
Wir haben alle unsere geplanten Veranstaltungen durchgeführt. Gerade sind unsere achten Klassen am »Beit«-Projekt des Jüdischen Museums beteiligt. Wir haben die Kulturtage der Gemeinde unterstützt. Unser ganz normaler Schulkalender wird abgearbeitet, und es geht einfach weiter. Mit zahlreichen Projekten, zum Beispiel zum 9. November, zum Tag der Offenen Tür und zum Mitzvah Day. Wir bemühen uns stets, nicht nur uns selbst zu sehen, sondern immer mit anderen Schulen, Konfessionen und Kulturen zusammenzukommen.
Meinen Sie, dass die schulischen Bemühungen von der Gemeindeleitung anerkannt werden?
Wir hoffen, dass sich bald etwas bewegt. Denn die Schule würde sich komplett verändern, wenn Lehrer gingen, die schon viele Jahre bei uns arbeiten, die diese Schule tragen und gestalten. Da steckt ein enormer Druck dahinter. Und das ist meine große Sorge. Ich gehe davon aus, dass sich die Jüdische Gemeinde darüber im Klaren ist, dass etwas geschehen muss. Denn so kann die Schule nicht fortgeführt werden. Und wir wollen auch nicht irgendwelche Lehrer bei uns haben. Wir wollen Pädagogen, die sich mit unserem Programm identifizieren. Wir wollen die besten Lehrer, das sind wir unseren Kindern schuldig.
Mit der Leiterin des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn sprach Katrin Richter.