Seit zwei Jahren erlebt das jüdische Theater in Rostock eine Renaissance: Schauspiel- und Musicalaufführungen, Tanzabende und Puppentheater – Menschen aller Altersgruppen sind in der Jüdischen Gemeinde aktiv. »Das Museum wird zum Theaterprobenraum, das Büro des Rabbiners zur Teestube«, sagt Juri Rosov und schmunzelt. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Rostock ist begeistert. »Es ist ein Traum, so viele Menschen in der Gemeinde zu sehen. Da bin ich glücklich.«
Wenn das Theater ein Stück aufführt, ist der Saal voll. Anders als sein Vorgänger »Mechaje« besteht das jetzige Ensemble aus Laien. Die Altersspanne reicht von 16 bis 89 Jahren. »Es sind nicht nur Gemeindemitglieder, sondern auch einige nichtjüdische Mitglieder und manche, die bislang nichts mit der Jüdischen Gemeinde zu tun hatten«, freut sich Rosov.
Ende Mai hat das Musical »Alle zusammen« Premiere.
Anfangs, räumt der gebürtige Ukrainer ein, sei er skeptisch gewesen. Schließlich war »Mechaje« zunächst sehr erfolgreich, habe dann aber ein trauriges Ende genommen. Der Druck sei zu groß gewesen. Mit Margarita Vishnyakova hat das Theater eine kompetente Regisseurin gewonnen.
Pädagogin Die 60-Jährige ist »verdiente Künstlerin Russlands, eine berühmte Schauspielerin vom Moskauer Jüdischen Theater ›Schalom‹. Das ist ein Glück für Rostock, dass sie hier lebt«, sagt Rosov, der einst selbst Literatur studiert hat. »Sie ist eine gute Pädagogin und findet zu jedem Zugang und die richtigen Worte.«Margarita Vishnyakova ist überzeugt: »Theater ist Nahrung für die Seele.«
Die Proben leitet die Schauspielerin und Regisseurin mit »weichen Handschuhen«. Jeder darf seine Meinung äußern. Es wird viel gelacht. Die Stimmung ist immer gut und positiv. »Es ist nicht leicht, alle zusammenzusammeln, und es ist schwierig, mit fast 90 Jahren einen Text zu lernen – noch dazu nicht in der Muttersprache«, räumt sie ein.Dass selbst sein Sohn bei der Theatergruppe mitmacht, hätte sich Juri Rosov nicht träumen lassen.
Alexander Rosov war vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Deutschland kam. Auch wenn sein Vater von Anfang an aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde war und inzwischen ihr Vorsitzender ist – Sohn Alexander hielt, wie viele seiner Generation, Abstand zur Gemeinde. Früher habe er sich hier nicht wohlgefühlt, weil er in den Augen der anderen immer der Sohn des Vorsitzenden war. Doch diese Bedenken hat er inzwischen nicht mehr. »Jetzt bin ich Sascha, der Theater spielt«, sagt der 26-Jährige lachend. Er macht mit, weil er sehr gut Deutsch spricht. Das Theater hat bereits drei Puppenspiele und zwei Schauspiele inszeniert.
Das Puppentheater zeigt sonntags abwechselnd Aufführungen auf Deutsch und Russisch.
Premiere Derzeit laufen die Proben zum Musical Alle zusammen, das Ende Mai Premiere haben wird. Mit der Adaptierung des Romans Liebe deinen Nächsten von Erich Maria Remarque, dem aus Deutschland vertriebenen Schriftsteller, Autor des Weltbestsellers Im Westen nichts Neues, haben sie das Schicksal dreier Flüchtlinge, die kein Land aufnehmen will, beschrieben.
Das Puppentheater bietet sonntags abwechselnd Aufführungen auf Deutsch und Russisch an. »Viele Eltern möchten unbedingt, dass ihre Kinder auch Russisch hören, damit die Sprache nicht ganz verloren geht. Was für ein Kontrast zu den 90er-Jahren«, sagt Rosov.
Die Rostocker Stadtverwaltung habe sehr positiv auf die Idee des jüdischen Theaters reagiert. Stadt und Land fördern das Projekt jährlich mit 20.000 Euro. »Das ist großartig«, sagt Rosov. Davon können das Honorar für die Regisseurin und Sachkosten getragen werden. Das private Theater am Warnowufer bietet der Laiengruppe an, die Bühne 602 zu nutzen.
Juri Rosov, der selbst nicht mehr spielt, freut sich auf die nächsten Vorhaben des Theaters und ist gespannt auf das, was kommt. »Da läuft alles demokratisch ab. Das Theater hat immer noch keinen Namen, man konnte sich nicht einigen. Auch meine beiden Vorschläge wurden nicht angenommen«, erzählt er.
Im Rahmen der Aktionstage gegen Antisemitismus zeigt das Theater am 9. April um 20 Uhr in der Bühne 602, Warnowufer, das Stück »Die Nacht vergeht«.