Gerhard Baader, der Zeitzeuge, Wissenschaftler und langjährige Gabbai der Synagoge Oranienburger Straße, ist am 14. Juni gestorben. Er wäre im Juli 92 Jahre alt geworden. Die Lewaja ist am Freitag um 11 Uhr auf dem Jüdischen Friedhof Scholzplatz.
Unermüdlich war der gebürtige Wiener im Einsatz, um die Rolle der Medizin im Nationalsozialismus aufzuarbeiten – er galt als Pionier auf diesem Gebiet. Für dieses Engagement hat er 2018 das Bundesverdienstkreuz erhalten. Zahlreiche Projekte zu diesem Thema wurden von ihm mit auf den Weg gebracht, zuletzt die Umwandlung der ehemaligen »Führerschule der Deutschen Ärzteschaft in Alt-Rehse« in eine Erinnerungs-, Bildungs- und Gedenkstätte.
VERGANGENHEIT Der von ihm 1982 gegründete »Arbeitskreis für die Erforschung der Geschichte der NS-Euthanasie und Zwangssterilisation« sei bis heute ein Motor für die historische Auseinandersetzung mit dieser Seite der deutschen Vergangenheit, würdigte ihn die Senatorin für Gesundheit, Dilek Kalayci (SPD), in diesem Zusammenhang.
Er war ebenso ein eifriger Netzwerker und führte Menschen, die sich in Initiativen engagieren, gerne zusammen. Als überzeugter Sozialdemokrat versuchte er, für eine offene und gerechtere Gesellschaft einzustehen.
Aufgeben und Stillstand waren in seinem Leben keine Option.
Der Ruhestand war für ihn der Moment, ab dem er noch aktiver werden konnte. Weiter unterrichtete er als Zeitzeuge und Wissenschaftler und betreute zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten.
ENGAGEMENT In Erinnerung wird er aber auch durch sein Engagement als Gabbai und als Repräsentant von Masorti Deutschland bleiben. Ferner war er stellvertretender Vorsitzender von »Child Survivors Deutschland – Überlebende Kinder der Shoah«.
Dank seines katholischen Vaters musste er während der Nazi-Zeit in Wien »nur« Zwangsarbeit leisten. Nach der Befreiung konnte er sein Abitur nachholen und studierte in Wien Klassische Philologie, Germanistik, Linguistik und Geschichtswissenschaften. 1967 zog er nach Berlin, um als wissenschaftlicher Assistent am Institut der Medizingeschichte zu wirken. Später habilitierte er sich.
1993 wurde er pensioniert und ging für zehn Jahre nach Israel, um dort an der Hebräischen Universität Jerusalem zu unterrichten, kam dann aber wieder nach Berlin zurück und lebte die letzten Jahre als Witwer alleine. Aufgeben und Stillstand waren in seinem Leben keine Option.