Die jüdische Gemeinde trauert um Jerzy Kanal, der als Vizepräsident des Zentralrats und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (1992–1997) sowie als langjähriges Direktoriumsmitglied und Aktivist für Keren Hayesod einer der bedeutenden Generatoren jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland war. Jerzy Kanal ist am 1. August kurz nach seinem 94. Geburtstag im Kreise seiner Familie in seine Welt gegangen.
Noch bei der Beerdigung von Ruth Galinski am 21. September 2014 ließ es sich Jerzy Kanal nicht nehmen, im Rollstuhl sitzend nicht nur an der Trauerfeier teilzunehmen, sondern auch an die Gruft heranzufahren, um persönlich dazu beizutragen, das Grab mit Erde zu schließen.
Fast drei Jahrzehnte, von 1969 bis 1997, war Jerzy Kanal aktiv im Vorstand der Jüdischen Gemeinde tätig. Vorstandsvorsitzender wurde er als Stellvertreter Heinz Galinskis unmittelbar nach dessen Tod.
1993 stellte er sich der turnusmäßig anstehenden Wahl, die er gewann. »Von Generation zu Generation« war ein oft von ihm zitiertes Wort, denn er betrachtete sich als Mann des Übergangs, der das von Galinski begonnene Werk weiterführte und mit Leben füllte.
wirken So ist es denn kein Wunder, dass das erste große Werk unter seinem Vorsitz im November 1992 die Grundsteinlegung des Neubaus der 1995 eingeweihten Heinz-Galinski-Schule war. 1993 konnte er dann der Gemeinde die erste Jüdische Oberschule Deutschlands im alten Schulgebäude der Jüdischen Gemeinde übergeben. Im gleichen Jahr unterzeichnete er den von ihm ausgehandelten Staatsvertrag mit dem Berliner Senat, der die Beziehungen des Landes zur Gemeinde erstmals verbindlich regelte.
Höhepunkt seines Wirkens jedoch war die Einweihung der Neuen Synagoge als Centrum Judaicum am 8. Mai 1995. Hier verband sich für Jerzy Kanal seine Vorstellung von historischem Ort, der Vermittlung von Jüdischkeit in der Gegenwart mit der Option für eine hiervon ge- prägte Zukunft.
wurzeln Jerzy Kanal wurde 1921 im polnischen Schtetl Blaszki geboren und wuchs in Warschau in einer vom Judentum osteuropäischer Tradition geprägten Atmosphäre auf.
Er gehörte zu jenen wenigen, die im Elternhaus gelebte und im Cheder vertiefte jüdische Bildung ganz selbstverständlich verkörperten und zugleich doch mit beiden Beinen in dem von einer nichtjüdischen Umwelt geprägten Leben standen.
Die Verfolgung durch die Deutschen überlebte Jerzy Kanal im Warschauer Ghetto, in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern. Nach der Befreiung kam er über München, Warschau, Prag und Paris 1953 nach Berlin. 1948 heiratete er in Prag seine Frau Serena, die 1975 nach 27-jähriger Ehe verstarb. Die beiden Töchter kamen in Paris zur Welt. Kanal war mehrfacher Großvater.
Jerzy Kanal war eine der bedeutenden Persönlichkeiten des jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert, als Zeuge der Schoa und als einer, der jüdisches Leben in Deutschland tatkräftig aufgebaut hat.