Bela Voloh ist von Anfang an dabei. Und das sind mittlerweile zehn Jahre, die die aus der früheren UdSSR stammende Lehrerin beim Jüdischen Wohlfahrtsverband Wuppertal-Solingen, Zedaka, arbeitet. Als Leiterin der Sozialabteilung schaut sie in alle Bereiche der Arbeit hinein. Bei der Integration der Neuzuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist sie »mit ihrem Herzen« bei der Sache.
Was bei uns gemacht wird, passiert nicht überall«, bemerkt sie selbstbewusst und erzählt von ihrem aktuellen Fall. Bereits seit elf Jahren betreut sie ein altes Ehepaar, das keine Verwandten in Deutschland hat. Beide, 80 und 73 Jahre alt, sind an Krebs erkrankt und schwerbehindert. Deutschkenntnisse haben sie so gut wie keine. Zur Betreuung der beiden gehören Krankenhausbesuche, alle möglichen Anträge müssen für sie ausgefüllt und Gespräche mit dem Vermieter geführt werden. Andere Hilfesuchende kommen mit Fragen, die der Alltag aufwirft, der für sie weitgehend fremd ist, beschreibt die Ex-Moldawierin die Anliegen ihrer Klientel.
hilfe für alle Normalerweise sind dies Aufgaben, die die Sozialabteilung der Gemeinde übernimmt. Die Wuppertaler hatten sich für einen Weg entschieden, den Geschäftsführer Leonid Goldberg in der Jubiläumsbroschüre zum Zehnjährigen des Sozialverbandes beschreibt. Am Anfang stand ein Dilemma: »Sollen wir eine Sozialabteilung in der Gemeinde installieren und nur Gemeindemitgliedern Hilfeleistungen anbieten, oder gründen wir einen Wohlfahrtsverband als eigene Institution und können so allen zugewanderten Menschen, unabhängig davon, ob sie Gemeindemitglieder sind oder nicht, helfen?«
Man entschied sich für den zweiten Weg und arbeitet eng vernetzt mit den anderen Sozialverbänden unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zusammen. Goldberg, im Ehrenamt Vorsitzender der Kultusgemeinde, steht an der Spitze von rund einem Dutzend Zedaka-Mitarbeitern. Fünf Schwerpunkte haben sie sich gesetzt: Beratung, Sprachschule, Projekte, Seniorenbegegnungsstätte und Integrationsagentur.
Beispielhaft Im Zentrum steht das Anliegen, Senioren zu befähigen, ihre Kompetenzen gezielt für andere, für noch Hilfsbedürftigere einzusetzen, Einsamkeit und Isolation im Alter vorzubeugen. Einmal im Monat trifft man zusammen und hört sich beispielsweise Vorträge über historische und religiöse Themen an. Nach Volohs Worten geht es darum, sowohl jüdische Traditionen wieder ins Bewusstsein zu heben als auch den neuen Alltag in Wuppertal und Solingen begreiflich zu machen.
»Jeder muss irgendjemandem wichtig sein«, lautet das Motto der Gruppe. In einer »Selbstbeschreibung« der Seniorenbetreuer, die sich Abendstern nennen, heißt es: »Wir kommen in jedes Haus, in dem man auf uns wartet, uns braucht und sich auf uns freut. Wir bieten Ihnen unsere Freundlichkeit und Herzlichkeit an. Wir werden Ihnen von dem Leben in unserer Gemeinde erzählen, über Ihre Probleme sprechen, Ihnen Gehör schenken, auf Wunsch beim Arztbesuch helfen oder mit Ihnen einen Spaziergang machen, Ihnen in einer schweren Stunde zur Seite stehen und Ihnen mit gutem Rat und Herzlichkeit helfen.« Dazu gehört auch, dass Abendstern-Mitglieder eine zusätzliche Sprach-ausbildung als medizinische Übersetzer erhalten.
Ausgesprochen vielfältig ist das Zedaka-Freizeitangebot. Zum Beispiel der Schachklub. Man trifft sich wöchentlich zum gemeinsamen Spiel und strebt Wettkämpfe mit anderen jüdischen Gemeinden und mit Wuppertaler Schachvereinen an. Zum Spektrum der Angebote gehören ferner ein Senioren-, ein Frauen- und ein Begegnungsklub sowie ein Kinder- und Jugendzentrum, aber auch der weit über die Gemeinde hinaus bekannte Chor »Mazal Tov«.
Aufgaben Zedaka sieht sich in der Tradition jüdischer Wohlfahrtspflege vor dem Holocaust. In einer 1910 von dem bekannten Elberfelder Rabbiner Joseph Norden verfassten Geschichte der Gemeinde werden eine Reihe von Bildungs- und Wohltätigkeitsvereinen genannt, die bereits vor 1914 existierten, so der Israelitische Frauenverein, der Israelitische Wohltätigkeitsverein, der Krankenpflege- und Beerdigungsverein Chewra Kadischa, der Verein zur Ausstattung bedürftiger Bräute, der Mendelssohnverein zur Förderung jüdischer Literatur und Geschichte, das Israelitische Pensionshaus für weibliche Angestellte, der Jüdische Jugendverein Barmen-Elberfeld und die Bergische Loge des Ordens B’nai B’rith mit dem Wahlspruch »Wohltätigkeit, Bruderliebe und Eintracht«.
Die Vielzahl an wohltätigen Einrichtungen zeigt, wie groß die Gemeinde vor dem Holocaust war. Vor 1933 lebten in Wuppertal mehr als 3.200 Juden. Doch während es 1990 nur noch rund 70 waren, von denen die meisten im achten Lebensjahrzehnt standen, wuchs die Gemeinde im Ergebnis der Migration auf heute rund 2.300 Mitglieder an. Die jüdische Gemeinde sah sich mit der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion plötzlich vor einen Berg neuer Probleme und Herausforderungen gestellt und erlebte einen teilweise schmerzhaften Wandel ihrer Aufgaben. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben half und hilft der Jüdische Wohlfahrtsverband.
In den Zedaka-Räumen, nur ein paar Schritte von der neuen Synagoge in Barmen entfernt, empfangen Voloh und ihre Mitarbeiterinnen täglich Frauen und Männer, die sich mit allen Fragen des Alltags an sie wenden. Hier liegt neben anderen russischsprachigen Zeitungen auch das monatlich erscheinende Informationsblatt des Jüdischen Wohlfahrtsverbandes Wuppertal-Solingen in russischer Sprache aus, das so verschiedenartige Themen behandelt wie Regelsätze für Arbeitslosen- und Grundsicherungsempfänger, die über Verbraucherrechte aufklärt oder die Frage beantwortet: »Wann müssen Sie zum Arzt? Hilfe, Unterhaltung, Anregungen aus einer Hand.«