Wie in jedem Jahr begannen die Feierlichkeiten zum 73. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau mit dem Gedenken des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern an der jüdischen Gedenkstätte.
Sowohl Josef Schuster, Zentralratspräsident und Vorsitzender des Landesverbandes, als auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie Holocaust-Beauftragte des World Jewish Congress (WJC), setzten sich am vergangenen Sonntag in ihren Reden mit dem wiedererstarkten Antisemitismus in Deutschland auseinander.
Es ist eine Aussage, die an einem Ort wie der KZ-Gedenkstätte, auf deren Gelände zwischen 1933 und 1945 mehr als 200.000 Menschen gefangen gehalten und 41.400 von den Nazis ermordet wurden, ein ganz besonderes Gewicht bekommt. »Immer mehr Menschen«, stellte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch 73 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur fest, »haben Angst davor, sich als jüdisch zu erkennen zu geben. Die Nationalsozialisten wurden besiegt, ihr Reich wurde zerstört. Die Ideen, die sie bewegten, leben aber fort.«
Bundesebene Angesichts der Entwicklung, die in den vergangenen drei Jahren mit der Flucht von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern eine beängstigende Dynamik angenommen hat, bezeichnete es Zentralratspräsident Josef Schuster als einen »großen Erfolg«, dass auf Bundesebene erstmals das Amt eines »Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus« geschaffen wurde.
»Der Beauftragte ist für uns ein wichtiger Partner im Kampf gegen Antisemitismus«, betonte Schuster. Alle Bundesländer sollten diesem Schritt folgen und eigene Beauftragte auf Landesebene berufen. Einige Bundesländer hätten diese Initiative bereits ergriffen.
Warum ein entschiedeneres Vorgehen gegen den wachsenden Antisemitismus vonseiten der Politik dringend notwendig ist, sprach auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch an. In den 73 Jahren seit Ende des Nationalsozialismus seien unzählige Sonntagsreden, Beteuerungen, Schwüre und Bekenntnisse zu dieser Verantwortung abgegeben worden. Aber es sei nicht gelungen, den hehren Worten auch gerecht zu werden.
»Aus dem anfänglichen Tabu wurde eine Gewöhnung an antisemitische Thesen und Tiraden, oder gar eine Zustimmung«, stellte sie fest.
Daten In diesem Zusammenhang forderte Josef Schuster eine genauere statistische Erhebung von antisemitisch motivierten Straftaten, um das wahre Ausmaß zu erkennen. »Wir brauchen valide Daten, damit die Mehrheitsgesellschaft das Problem überhaupt ernst nimmt – und zwar so ernst, dass sie sich nachhaltig damit beschäftigt und sich nicht bei einem Vorfall kurzfristig empört, um dann im Alltag genauso weiterzumachen wie bisher.«
Das besondere Problemfeld, den Judenhass unter Muslimen, sprachen sowohl der Zentralratspräsident als auch die IKG-Präsidentin in ihren Reden an. Charlotte Knobloch sagte: »Es ist ein tradiertes Phänomen in der muslimischen und arabischen Welt, gepflegt und praktiziert – in Erziehung, Schulbüchern, Staatsdoktrin, Moscheen und Medien. Über die Imame und religiösen Taktgeber sowie die Idole und Autoritäten vieler junger Muslime wird der Hass auch bei uns konsumiert und praktiziert.«
Josef Schuster verwies in diesem Zusammenhang auf ein pädagogisches Problem und viel Nachholbedarf: »Wie können wir erwarten, dass Lehrer stets souverän und angemessen reagieren und diesen Antisemitismus im Keim ersticken können, wenn sie dafür gar nicht ausgebildet sind?«
Kultusministerkonferenz Der Zentralrat habe bereits gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz damit begonnen, Strategien zu entwickeln, um die Lehrer besser gegen Antisemitismus zu rüsten. Die Indoktrinierung von Kindern mit nationalistischer Ideologie sei nicht akzeptabel, erklärte auch Charlotte Knobloch.
Die KZ-Gedenkstätte in Dachau zeigt auf schreckliche Weise, wohin Antisemitismus führen kann. Bei der Gedenkfeier wurde dies auch durch die Anwesenheit von Überlebenden, die der Hölle entrinnen konnten, deutlich. Sie waren aus ihren heutigen Heimatländern zur Gedenkfeier angereist. Josef Schuster erzählte die Geschichte von einem von ihnen: Ben Lesser.
Der Schoa-Überlebende sah sich erst vor zwei Jahren Filmaufnahmen an, die die Amerikaner bei der Befreiung des Konzentrationslagers gemacht hatten – und entdeckte sich unter den bis auf die Knochen abgemagerten Menschen selbst. »Er ist sich nicht einhundertprozentig sicher, dass er dieser Mann ist, hält es aber für sehr wahrscheinlich«, sagte Zentralratspräsident Schuster.
Gesellschaft Ein würdiges Gedenken für die Menschen, für die die Befreiung zu spät kam, ist nach Überzeugung von Charlotte Knobloch eine Verpflichtung. Das Gedenken müsse angesichts der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen aber auch immer mit dem Vorsatz einhergehen, entschlossen dafür zu kämpfen, dass es keine neuen Opfer von Hass, Gewalt und Krieg gebe.
»73 Jahre nach dem Holocaust muss es jüdischen Menschen in ihrer Heimat möglich sein, sorgenfrei und friedvoll in die Synagoge zu gehen, in die Schule, den Kindergarten, zum Fußball, zum Grillen, zum Baden, zum Shoppen – mit oder ohne Kippa, mit oder ohne Davidstern«, sagte Knobloch. Viele hätten aber nicht verstanden, dass der Kampf gegen Antisemitismus auch der Kampf für unsere Demokratie sei.
Rabbiner Jan Guggenheim aus Fürth trug anschließend Psalmen vor und sprach das Gebet »El Male Rachamim«. Nach dem Kaddisch gingen alle gemeinsam vom Krematorium zur Internationalen Gedenkstätte, um Kränze niederzulegen.