Erfurter Dom

Wolfram oder Aaron?

Ist es möglich, dass der sogenannte Wolframleuchter aus dem Jahr 1160 im Erfurter Dom eigentlich den Hohepriester Aaron darstellt? »Ich bin zuversichtlich, dass sich unsere Hypothese bestätigen wird«, versichert der Philologe und Religionswissenschaftler Jörg Rüpke der Jüdischen Allgemeinen.

Er habe seinen Ruf als Wissenschaftler zu verlieren, wenn er leichtfertig mit einer solchen Information an die Öffentlichkeit gehe, bekräftigt er. Gemeinsam mit Julie Casteigt, Gastwissenschaftlerin aus Toulouse, und dem Professor für Theologische Ethik/Sozialethik an der Universität Tübingen, Dietmar Mieth, hat er ein Jahr lang diese Hypothese erarbeitet.

Zufallsfund Der Zufall spielte dabei eine entscheidende Rolle. Vor einem Jahr fand in Erfurt ein Weltkongress der Religionswissenschaftler statt. Dafür wollte Rüpke ein kleines Büchlein mit religionswissenschaftlich bedeutsamen Kunstwerken aus dem Mittelalter herausbringen. Auch der Wolframleuchter im Dom sollte dabei sein. »Den finde ich seit Jahren spannend«, erzählt Rüpke.

Als er dafür Material zusammenstellte, stieß er auf Ungereimtheiten über die Herkunft des Leuchters. Rüpke zog weitere Wissenschaftler des Max-Weber-Kollegs an der Erfurter Universität hinzu. In Handschriften aus dem 13. Jahrhundert entdeckten sie unter anderem einen Hinweis auf Aaron als Torahalter sowie weitere wissenschaftliche Belege. Im Mai wollen die Fachleute ihre Erkenntnisse in der »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte« veröffentlichen.

Wenn der Leuchter tatsächlich im zwölften Jahrhundert von Juden in Auftrag gegeben wurde, ist er die einzige jüdische Vollplastik im europäischen Mittelalter. »Damit wäre der Beweis erbracht, dass das Bilderverbot in dieser Zeit nicht allzu ernst genommen wurde«, sagt der Religionswissenschaftler. Nicht zu Unrecht. Denn das dürfte auch internationale Wissenschaftler faszinieren.

»Es ist schade, dass ich von dieser Hypothese über das Internet und nicht von den Wissenschaftlern selbst erfahren habe«, reagiert der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde in Erfurt, Reinhard Schramm, auf die mögliche Sensation. »Wenn stimmt, was da als Hypothese im Raum steht, ist der Leuchter Eigentum der Jüdischen Gemeinde«, sagt Schramm.

Kulturerbe Auch die Erfurter UNESCO-Beauftragte Maria Stürzebecher befasst sich mit der Entdeckung. »Ich bin natürlich gespannt. Aber ich hege meine Zweifel, ob die Hypothese stimmen kann. Wir werden uns mit den Wissenschaftlern des Weber-Kollegs zusammensetzen.« Dompropst Gregor Arndt ist ebenfalls verblüfft. »Wir sind sehr interessiert«, versichert er. Er wisse aber auch, dass sich die Forscher über diese Figur im Dom nicht sicher seien. »Wir werden uns alles in großer Redlichkeit anschauen«, sagt Arndt.

Die Geschichte des Leuchters wurde schon von mehreren Wissenschaftlern untersucht. Seit 1425 steht Wolfram alias Aaron im Dom. Wo sich die Skulptur vorher befunden hat oder versteckt war, ist derzeit noch nicht belegt. Sicher ist allerdings, dass sie um 1160 entstanden ist. Denkbar wäre, dass sie nach dem 21. März 1349, dem großen Pogrom in Erfurt, versteckt wurde.

Fragen gibt auch der Gürtel des vermeintlichen Büßers auf. Warum ist darauf der Name Wolfram zu lesen? Hat der Kaufmann die Bronze in seinem Besitz gehabt? Fest steht, dass die ausgebreiteten Arme der Figur tatsächlich genau dem notwendigen Abstand für eine Torarolle entsprechen. Seit die Wolframfigur im Dom steht, also seit knapp 600 Jahren, hält sie Kerzenteller in ihren Händen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie erst nachträglich angefertigt wurden. Um das zu überprüfen, müsste der Figur eine etwa 50 Kilogramm schwere Torarolle in die Hände gegeben werden, meint Rüpke.

Hohepriester »Sollte sich die Hypothese als richtig erweisen und der Leuchter stellt tatsächlich den Hohepriester Aaron dar, dürfte sich das auch auf die UNESCO-Bewerbung Erfurts auswirken«, ist Achava-Intendant Martin Kranz überzeugt. Auch wenn auf dieser Weltkulturerbe-Liste die Gebäude im Mittelpunkt stehen, ist der mögliche Aaron ein weiterer Hinweis auf jüdisches Leben im mittelalterlichen Erfurt. Er dürfte dann noch eine größere Sensation sein als der Erfurter Schatz.

Der echte Wolfram-Aaron solle in jedem Falle im Dom stehen bleiben, wünscht sich Rüpke. Eine von der Kirche zu finanzierende Kopie, ohne Kerzenteller, aber mit Torarolle, bekäme dann einen würdigen Platz in der Alten Synagoge. Dort hängt bereits die Kopie einer Schabbat-Ampel. Ihr Original befindet sich keine fünf Meter vom möglichen Aaron entfernt.

Reinhard Schramm widerspricht diesem Vorhaben und geht davon aus, dass der Hohepriester Aaron dann der Jüdischen Gemeinde gehören müsse. »Ich hoffe, dass wir uns gut einigen können.« Er wolle sich möglichst bald mit Bischof Ulrich Neymeyr treffen. Im Übrigen werde man erst einmal Belege für die Aaron-These zu studieren haben. »Nach einer Jahrhunderte währenden Wartezeit kommt es jetzt auf ein paar Wochen mehr oder weniger nicht an«, meint er lächelnd.

Möglicherweise wird es sogar noch Jahre dauern, bis es Antworten um den Hohepriester geben wird. Die These, dass der Wolframleuchter »mit großer Ernsthaftigkeit den biblischen Hohepriester Aaron darstellt«, sorgt aber bereits jetzt für Aufsehen.

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024