Seit 13 Jahren wohnen wir hier, und nie wussten wir, wie es hier drin aussieht!», flüstert die Frau ihrem Mann am Eingang zum festlich beleuchteten Gebetsraum mit den hohen Buntglasfenstern zu. Für viele Nachbarn ist der Tag der offenen Tür in der Synagoge Hohe Weide in Hamburg die erste Gelegenheit, das Gebäude von innen zu besichtigen. Über zwei Jahre hat die Renovierung gedauert, fast zwei Millionen Euro hat sie gekostet. Nun wurde das Gotteshaus wiedereröffnet.
Christian Bucht, der seit einem Jahr «um die Ecke wohnt», wie er sagt, ist nur durch Zufall da. Er hat den Eindruck, dass die Gemeinde sich den Hamburgern gegenüber viel offener präsentieren könnte. «Sie sollten mehr Öffentlichkeitsarbeit machen und zum Beispiel die Nachbarn per Flyer zu sich einladen», findet er. Die Polizeipräsenz sei natürlich auch eine große Hürde für Besucher, aber das kenne er aus anderen Ländern: «Ich war schon elf Mal in Israel, es ist schade, dass dieser Schutz in Deutschland immer noch nötig ist.»
Gelungen Auch Nachbarin Claudia Schulze bedauert, dass sie eher weniger mitbekommt vom Gemeindeleben: «Eigentlich nur am Schabbat, wenn sich die Menschen in feierlicher Kleidung hier versammeln.» Früher war sie öfter in der Synagoge, als noch viele Veranstaltungen der WIZO dort stattfanden, jetzt habe sich das jüdische Gemeindeleben sehr in die Talmud-Tora-Schule verlagert, so Schulze. Die Renovierung beschreibt sie als sehr gelungen, denn für sie gehört Festlichkeit zum Respekt für die Religion dazu. «Die Klarheit der Räume ist bestechend. Wenn man das jetzt so anguckt, sieht man, wie nötig die Sanierung war.»
In den Kellerräumen allerdings ist zu sehen, dass noch längst nicht alle Arbeit getan ist. Rohre und Kabel baumeln von der Decke, kaltes Neonlicht beleuchtet den rauen Betonboden in der Mikwe. Auf den Entwürfen, die Landesrabbiner Shlomo Bistritzky den interessierten Besuchern auf seinem Handy zeigt, lässt sich erahnen, wie das Ritualbad einmal nach seiner Fertigstellung aussehen wird. Helle Kacheln in lichtdurchfluteten Räumen, orientalische Muster, Schminktisch – die Mikwe soll vor allem die Frauen der Gemeinde zum Bad einladen.
Noch sei nicht zu befürchten, dass es zu eng würde, sagt der Rabbiner mit einem Augenzwinkern, bevor er von den Gebräuchen der Mikwaot in Jerusalem erzählt, wo oft mehrere Kabinen gleichzeitig für Frauen bereitstünden. Aber wenn die Nachfrage steige, dann werde man in Hamburg schon Möglichkeiten für weitere Bäder finden, ist Bistritzky überzeugt.
Leitungssystem Das Wasser für die Mikwe wird der Tradition entsprechend als aufgefangener Regen direkt vom Schrägdach des Gebäudes über Rohre in das 1,40 Meter tiefe Bad geleitet. Viele der aufwendigeren Renovierungsarbeiten sind dem Besucher gar nicht sofort ersichtlich. Vor allem das gesamte marode Leitungssystem des Hauses musste dringend grunderneuert werden. Putz und Fliesen waren von den Wänden gefallen, die Synagoge hatte mehr oder weniger im Grundwasser gestanden.
Auch die Küche wurde – inklusive aller Geräte – komplett überholt. Von nun an kann dort für über 300 Menschen gekocht werden. Insgesamt musste die Gemeinde aber trotz der vielfältigen Umbauten nur drei Wochen für die Gebete in andere Räumlichkeiten umziehen, ansonsten wurde der Betrieb der Synagoge um die Bauarbeiten herum arrangiert.
Der junge Lehrer Marcel Wolf ist mit seiner Freundin zum Tag der offenen Tür gekommen. Er will die Gelegenheit nutzen, um für seinen Unterricht in der Oberstufe eines Harburger Gymnasiums über das Judentum zu recherchieren. Beide sind überrascht von der Modernität des Baus. «Ich kenne schon die Synagogen in Berlin und Krakau. Die Atmosphäre hier in Hamburg ist schon sehr offen und einladend», sagt Wolf, während er an einem Essensstand auf eine der letzten Falafel hofft.
Einsatz Im Innenhof treffen Nachbarn auf Gemeindemitglieder, immer wieder werden kleinere Gruppen von Kundigen durch das Gebäude geführt. Besonders Ulrich Lohse ist ein gefragter Experte, denn das Vorstandsmitglied habe nahezu jeden Tag von morgens bis abends in der Synagoge die Umbauphase betreut, erzählt Philipp Stricharz, der stellvertretende Vorsitzende der Gemeinde: «Seinem persönlichen Einsatz haben wir eigentlich dieses Ergebnis jetzt zu verdanken.»
Bereits am Vormittag war das Gebetshaus offiziell vom Vorstand und dem Ersten Bürgermeister der Hansestadt eröffnet worden. Olaf Scholz betonte in seiner Rede noch einmal das symbolische Datum der Grundsteinlegung am Jahrestag der Pogromnacht, dem 9. November 1959, durch den damaligen Bürgermeister Max Brauer. «Die jüdische Gemeinde gehört zu Hamburg», bekräftigte Scholz. «Und die Synagoge ist ein ganz wichtiges Symbol dafür, dass nach dem Zivilisationsbruch wieder jüdisches Leben in Hamburg stattfindet.» Dabei hatte die Stadt durchaus nicht immer so ein Interesse am baulichen Zustand der Synagoge gezeigt, die seit ihrer Einweihung 1960 nicht nennenswert saniert worden war. Scholz: «Die Wiedereröffnung ist auch ein Bekenntnis zum Standort an der Hohen Weide.»
Lange wurde innerhalb der Gemeinde durchaus auch über einen Neubau diskutiert, bevorzugt an der ursprünglichen Stelle der zerstörten Synagoge im Grindelviertel, damals wie heute Herz des jüdischen Lebens in Hamburg. Letztlich entschied man sich aber gemeinsam mit der Stadt auch aus finanziellen Gründen für die Beibehaltung des Ortes und die Sanierung. «Das Gebäude ist ein Schmuckstück, und wir müssen dafür sorgen, dass es das immer bleibt», sagte Scholz.
Geldgeber Ein erster wichtiger Schritt sei jetzt mit der Sanierung dafür getan. Der wurde allerdings in erster Linie auch durch private Geldgeber ermöglicht. Für die Hermann Reemtsma Stiftung, den mit einer Million Euro größten Geldgeber der Renovierung, wurde am Eingang des Gebetsraumes eine Dankestafel angebracht. Neben der Stadt Hamburg steuerte auch die GEW, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Mittel bei.
Jetzt soll das jüdische Gotteshaus neu belebt werden. Vorstandsmitglied Philipp Stricharz sagte in seiner Ansprache am Vormittag, die Synagoge solle «der Anker der Gemeinde» und ihren vielen Mitgliedern werde sie «ein Wohnzimmer für die Seele sein».