Interview

»Wir müssen Vorbild sein«

Charlotte Knobloch über das NPD-Verbot, Wahlen und jüdisches Leben

 07.03.2016 20:14 Uhr

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch Foto: Steffen Leiprecht / froggypress.de

Charlotte Knobloch über das NPD-Verbot, Wahlen und jüdisches Leben

 07.03.2016 20:14 Uhr

Frau Knobloch, Sie fordern seit vielen Jahren ein Verbot der NPD. Jetzt wird in Karlsruhe der Anlauf dazu unternommen, und die ersten Hürden auf dem Weg dorthin sind überwunden. Wie wichtig ist für Sie das Verbot dieser Partei?
Natürlich ist es wichtig, eine rechtsextremistische Partei wie die NPD zu verbieten. Sie hat mit ihrer verfassungsfeindlichen Profilierung in unserem Parlamentsgefüge, in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Dass sie auch noch mit Steuergeldern finanziert wird, ist geradezu grotesk. Das hat aber auch schon Anfang des neuen Jahrtausends gegolten, als der erste Anlauf zu einem Verbot unternommen wurde. Umso bedauerlicher ist es, dass das Verbot an formalen juristischen Hürden scheiterte. Dass die NPD verfassungsfeindlich ist und eine Ideologie propagiert, die der NSDAP sehr nahe ist, oder sie sogar an Radikalität noch übersteigt, ist ja hinlänglich bekannt. Das Verbot ist überfällig.

Inwiefern?

Die Rolle der NPD im braunen Sumpf unseres Landes wurde stark unterschätzt. Sie war nicht nur das Sprachrohr organisierter Rechter, sie war auch das Bindeglied zu Neonazi-Kameradschaften, die mehr und mehr in die Radikalität abdrifteten und auch vor Gewalt nicht zurückschreckten. Ich muss doch nur ins Landgericht München zum NSU-Prozess gehen, um damit direkt konfrontiert zu werden. Heute sind hier zusätzlich »Die Rechte« und »Der III. Weg« massiv aktiv. Parteien, die zum Teil noch radikaler sind als die NPD und genauso verboten werden müssen.

Was haben die mutmaßlichen »Killer« des »Nationalsozialistischen Untergrunds« mit der NPD zu tun?
Die NPD war ihre ideologische Basis. Einer der maßgeblichen Angeklagten, Ralf Wohlleben, war jahrelang Funktionär der NPD, stellvertretender Landesvorsitzender in Thüringen und das mediale Sprachrohr der Partei. Oder der wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilte Tino Brandt, eine der zentralen Figuren im braunen Netzwerk, V-Mann des Verfassungsschutzes, aber auch Gründer des »Thüringer Heimatschutzes«, der Basis des NSU, Zeuge vor Gericht – und Landesvorsitzender der NPD in Thüringen. Parallelen dieser Art gibt es noch mehr.

Von der NPD spricht heute kaum noch jemand. Ins Licht der Öffentlichkeit sind Pegida und die AfD gerückt. Was ist passiert?

Der Rechtspopulismus und -extremismus ist in ganz Europa auf dem Vormarsch. Und in Deutschland, dem Land mit einer diesbezüglich extremen Vergangenheit, macht mich das besonders betroffen. Auschwitz hat uns ein Vermächtnis hinterlassen. Es lautet: »Nie wieder!« Aber die Gegenwart lässt mich daran zweifeln, ob diese Lehre tatsächlich von der viel zitierten »überwiegenden Mehrheit« verstanden und beherzigt wird. Gerade die »besorgten Bürger« sollten daran denken, bevor sie menschenverachtenden Hetztiraden folgen. Und sie sollten auch daran denken, dass sie es nur tun können, weil sie in unserer Demokratie von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit profitieren, jener Demokratie, die sie zu Fall bringen wollen. Sie sind auch nicht das Volk, sie sind die Brandstifter, die Hass ausstreuen.

In ein paar Tagen finden in mehreren Ländern die Landtagswahlen statt. Meinungsforscher prognostizieren der AfD eine hohe Zustimmung der Wähler und den Einzug in die Parlamente. Einen Vorgeschmack darauf haben die Kommunalwahlen am Sonntag in Hessen mit einer erschreckend geringen Wahlbeteiligung und zum Teil explodierenden Wahlergebnissen gezeigt. Hat denn das bisherige politische System ausgedient?

Nein, natürlich nicht. Aber die demokratischen Parteien müssen überlegen, wie sie die Menschen wieder für die Demokratie begeistern! 15 Prozent AfD-Stimmen in Wiesbaden, ähnlich hohe Ergebnisse in anderen großen Städten Hessens und viele NPD-Wähler geben Anlass zu großer Sorge, aber ich setze weiterhin auf die Vernunft der Wähler und hoffe, dass sie beim Ankreuzen der Stimmzettel nicht den dumpfen Parolen der verbalen Scharfmacher erliegen. Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind nicht die Merkmale unserer Demokratie, die wir mühsam erschaffen haben. Perfide Demagogen aus dem rechten Lager, die Schießbefehle auf Flüchtlinge für legitim halten und US-Präsident Obama für einen »Quotenneger«, sind nicht wählbar.

In Sachsen bewegen sich die Vorhersagen für die AfD bei 20 Prozent. Das ist schon deutlich mehr als eine Minderheit.
Das ist eine kritische Masse. Wir müssen uns intensiv fragen, wie es um die demokratische Verfasstheit unseres Landes bestellt ist. Wenn die Leidenschaft für Freiheit und Demokratie in einem solchen Umfang schwindet, dann ist Gefahr im Verzug. Man kommt auch nicht daran vorbei, zu hinterfragen, warum dieses Phänomen gerade in den neuen Bundesländern sichtbar wird. Woher kommt die hohe Akzeptanz rechtsextremer Strömungen? Ist es nur ein Zufall, dass in Sachsen die Flüchtlingsheime besonders schnell brennen, dass Rassismus und Antisemitismus so offen zur Schau getragen werden können? Ich fürchte, dass dieser Entwicklung von den demokratischen Kräften nicht entschieden genug entgegen- getreten wurde. Nur so konnten derart signifikante Strukturen entstehen, die von Feindseligkeit und einem gefrorenen Weltbild geprägt sind und sich seit Monaten in Hasstiraden und Gewalt entladen. Diese Erscheinung ist allerdings nicht auf die neuen Bun- desländer begrenzt, sondern überall feststellbar. Eine hohe Wahlbeteiligung wäre ein erster Schritt, um die rechten Parteien in die Schranken zu verweisen.

Anhänger von Pegida und der AfD argumentieren gern damit, die wahren Patrioten des Landes zu sein. Ist es so?
So sehen sie sich. Sie sind es aber nicht. Sie sind das Gegenteil. Sie haben das Potenzial, unser Land nachhaltig zu schädigen. Pegida, Legida und Co. sind keine Patrioten. Sie sind Scharfmacher, Brandstifter, die an Flammen zündeln, die noch in den Zwischenräumen unseres Gemeinwesens schwelen. Das betrifft auch Teile der AfD. Diese Partei bringt zu viele Gestalten und Thesen hervor, die nicht nur Geschmackssache sind, sondern radikal rechts, völkisch-rassistisch, nationalistisch und somit auch gefährlich. Sie singen im Chor mit Pegida und Co., die offen rechtsradikal und antisemitisch auftreten, vielfach unterwandert und gesteuert von Neonazis. In diesem braunen Sumpf aus verschiedenen Gruppierungen sind genaue ideologische Grenzziehungen nicht mehr möglich. Darüber sollte auch jeder der »besorgten Bürger« nachdenken, der ihnen nachrennt.

Rassismus und Antisemitismus sind unübersehbar, vor allem in den sozialen Netzwerken. Müssen Juden Angst haben?
Natürlich blickt die jüdische Gemeinschaft mit Sorgen in die Zukunft. Nur sieben Jahrzehnte nach der Schoa ist »Jude« wieder ein Schimpfwort, nur sieben Jahrzehnte nach der Schoa kann jüdisches Leben oft nur unter Polizeischutz stattfinden, nur sieben Jahrzehnte nach der Schoa werden in Europa wieder Menschen ermordet, weil sie Juden sind. Das ist ein Armutszeugnis, vor dem sich Politik und Gesellschaft nicht verschließen dürfen. Was mich besonders bedrückt, ist die Tatsache, dass Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft ange- kommen und wieder salonfähig geworden ist. Das ist ein inakzeptabler Zustand, der nicht hingenommen werden kann. Aber auch die antisemitischen Exzesse muslimischer Jugendlicher nehmen zu. Das gilt dann bisweilen gar als legitime Kritik an Israel. Wenn sich diese Tendenzen festigen, bange ich um die Zukunft jüdischen Lebens in unserem Land, und das habe ich in den letzten 50 Jahren nicht getan.

Was ist zu tun?
Für uns Demokraten bedeutet das: Wir müssen Vorbilder sein und unsere freiheitlichen Werte und Überzeugungen vorleben. Wir dürfen den Patriotismus nicht den Falschen überlassen. Politik und Gesellschaft müssen ein »Wir«-Gefühl formen, das uns starkmacht, das uns Kraft gibt, das uns eint und nicht spaltet.

Mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde sprach Helmut Reister.

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024