Pforzheim

»Wir brauchen Zeichen der Hoffnung«

Rami Suliman ist für weitere zwei Jahre zum Voritzenden der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden gewählt worden. Foto: Doro Treut-Amar

Herr Suliman, aus Ihrer Region gab es zuletzt besorgniserregende Nachrichten über antisemitische Übergriffe – aber auch sehr positive Meldungen, wie die Eröffnung der Synagoge in Konstanz. Wie steht es um die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden?
Klar, wir haben Sorgen, vor allem in puncto Sicherheit. Aber wir schauen auch mit Zuversicht in die Zukunft. In Konstanz wurde eine Synagoge eröffnet, in Baden-Baden planen wir den Bau einer weiteren Synagoge. Wir sind im religiösen Bereich mit unseren insgesamt acht Rabbinern sehr aktiv. Und besonders zuversichtlich stimmt mich der Blick auf die jüngere Generation. Die Jugendarbeit steht bei uns in Baden an erster Stelle. JuJuBa, also die Jüdische Jugend Baden, ist in den zehn Gemeinden sehr gut organisiert und hat ein regionales Bewusstsein und einen engen Zusammenhalt. Zudem haben wir noch einen sehr aktiven Studentenverband. Das ist unsere Zukunft.

Doch die Gegenwart ist nicht erst nach Halle durch eine konkrete Bedrohungslage geprägt. Haben Sie den Eindruck, dass die Verantwortlichen im Land das ernst nehmen?
Ja, diesen Eindruck kann ich nach verschiedenen Unterredungen zum Beispiel mit den Fraktionen im Landtag bestätigen. Einige Gespräche stehen noch aus. Aber ich denke, inzwischen ist allen bewusst, dass dringender Handlungsbedarf besteht, den wir als Religionsgemeinschaft nicht allein bewältigen können.

Was heißt das konkret?
Die Mittel, die wir bislang aus dem Staatsvertrag erhalten, wenden wir für die bereits genannten Aufgaben im Bereich Kultus, Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit auf. Für Sicherheitsmaßnahmen hatten wir bislang keine Mittel. Das hat sich jetzt kurzfristig mit einer Soforthilfe geändert, mit dem die Regierung eine Million Euro für die Sicherheit der Gebäude der jüdischen Gemeinschaft in Baden-Württemberg zur Verfügung stellt. Das zeigt: Es wird nicht nur gesprochen, sondern auch gehandelt.

Das ist eine Sofortmaßnahme. Wie geht es weiter?
Wir sind in Verhandlungen. Im Dezember will das Landesparlament die Maßnahmen für die Jahre 2020/21 beschließen.

Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume hat eine Erweiterung des Staatsvertrags vorgeschlagen, um die steigenden Sicherheitsausgaben zu berücksichtigen. Ist das in Ihrem Sinne?
Auf jeden Fall. Wir haben dringenden Bedarf, dem Rechnung getragen werden muss. Dabei geht es zum einen um die Gebäude­sicherheit. Diese haben wir auch gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden nochmals auf den Prüfstand gestellt. Da sind einmalige Ausgaben für Panzerglas, Sicherheitsschleusen oder Kameras notwendig. Zusätzlich fordern wir die Regierung auf, für jede Gemeinde geschultes Sicherheitspersonal bereitzustellen. Das müsste im Staatsvertrag, der bislang Sicherheitsmaßnahmen nicht berücksichtigt, vorgesehen werden.

Der Schutz jüdischer Einrichtungen ist das eine. Wie gehen Sie mit den alltäglichen Anfeindungen außerhalb der Gemeinden um?
Das ist ja kein Phänomen, das sich auf Baden beschränkt. Juden werden inzwischen überall in Deutschland bespuckt, beschimpft und beleidigt. Das wird noch weiter eskalieren, da bin ich pessimistisch. Ich lebe seit 40 Jahren in Pforzheim. So eine Situation wie jetzt, in der zum Beispiel die Partei »Die Rechte« Slogans wie »Israel ist unser Unglück« plakatiert und die Gerichte das nicht als antisemitisch oder volksverhetzend verbieten, habe ich noch nicht erlebt.

Was muss geschehen?
Alle müssen der Verantwortung gerecht werden. Ich denke, dass viele in der Politik das Problem inzwischen erkannt haben. Aber der Kampf gegen Antisemitismus ist keine leichte Aufgabe. Und ich denke, dass es Versäumnisse gab. Da kann ich die Handlungsvorschläge des Antisemitismusbeauftragten Blume jetzt nur begrüßen. Er will der Verbreitung antisemitischer Stereotype im Unterricht begegnen, Schulbücher überprüfen, schulische Konzepte erarbeiten und Begegnungen wie beim Schulprojekt »Likrat« fördern. Das sind wichtige Maßnahmen, aber die werden erst in einigen Jahren und Jahrzehnten wirken.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Zeichen der Hoffnung. Was meinen Sie damit?
Nehmen Sie das Beispiel Pforzheim: Wir haben hier einerseits ein schwieriges Pflaster, eine sehr verfestigte und immer stärker werdende rechte Szene. Andererseits haben wir eine sehr aktive Stadtgesellschaft, die sich zum Beispiel im »Bündnis Pforzheim nazifrei« engagiert. Unmittelbar nach dem Anschlag in Halle wurde eine Mahnwache mit rund 500 Menschen auf dem Platz der Synagoge organisiert. Wir sind gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur Bündnispartner. Als jüdische Gemeinde haben wir verstanden, dass wir uns nicht verstecken dürfen, sondern uns als Juden zeigen und unsere Gemeinde öffnen, uns an der Gesellschaft beteiligen müssen. Das baut auf der einen Seite Vorurteile ab, und man bekommt auf der anderen Seite auch etwas zurück. In dieser Zeit brauchen wir Zeichen der Hoffnung.

Mit dem Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Pforzheim und Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (Oberrat) sprach Detlef David Kauschke.

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