Das Stühlerücken kann beginnen. Noch stehen sie gestapelt in einer Ecke, und gar nichts in diesem Saal deutet darauf hin, dass in wenigen Minuten ein Gottesdienst beginnen wird. Lediglich ein verschlossener Schrank steht in der »Community Hall« im Zehlendorfer Hüttenweg, wie der Raum genannt wird. Im Schrein sind die Torarollen der Synagogengemeinde Berlin Sukkat Schalom untergebracht.
Dann beginnt sich der Saal zu beleben. Die Beter stellen die Stühle in Reihen auf und ordnen sie. »Als wir vor elf Jahren mit den Gottesdiensten anfingen, war die Halle noch so etwas wie ein Möbellager«, sagt Andreas Nachama, Rabbiner der ersten Stunde der Gemeinde im Berliner Hüttenweg, »aber bereits nach wenigen Minuten veränderte sich die Atmosphäre in Andacht.« Und das sei bis heute so geblieben, versichert Nachama. Die Beter würden die familiäre Atmosphäre schätzen.
Der Aron Hakodesch wird geöffnet – der Gottesdienst kann beginnen. Immer mehr Beter beiderlei Geschlechts strömen in den Synagogenraum. »Etwa 80 bis 90 Beter kommen freitags und um 25 zu den Morgengottesdiensten«, berichtet Vorstandsmitglied Benno Simoni. 250 Mitglieder gehören dem Verein an, davon gelten 70 als Förderer und 180 als Aktive.
Platzmangel »An den Hohen Feiertagen haben wir einfach zu wenig Platz«, meint Rabbiner Nachama. Denn mehr als 110 Beter bekomme man kaum in der »Garagensynagoge« unter, wie er sie nennt. Deshalb sucht der Vorstand immer noch nach einer neuen Immobilie. In der Vergangenheit waren Pläne zur Vergrößerung des Bethauses nicht realisierbar.
»Wir wollen komplett umziehen«, sagt Nachama. Er hofft auf einen sogenannten Bestandsbau, die der Senat nun des Häufigeren in der Umgebung der Synagoge abgibt. »Wir sind am Ball«, versichert Simoni, der auf ein großes und preiswertes Domizil hofft.
»Die anderen Vereine, die sich das Haus mit uns teilen, sind auch immer größer geworden.« Der Belegungsplan hängt neben der Tür. Er ist für die nächsten Monate bereits ausgefüllt. Der Gottesdienst zu Jom Kippur wechselt sich mit einer Thanksgiving-Feier ab.
Und während der Woche werden in der Community Hall Kurse angeboten: Seniorengymnastik, Kinderbasteln, Workshops, Girls Scouts. Auch eine Gruppe der Weight Watchers trifft sich in dem ehemaligen Chaplain Center, dass die US-Streitkräfte schon als Synagoge nutzten.
Aber auch die Synagogengemeinde hat sich in den zwölf Jahren seit der Gründung »ganz gut rausgemacht«, wie Benno Simoni sagt. In den ersten zwei Jahren gab es nur alle zwei Wochen freitagabends einen Gottesdienst. Inzwischen finden sie wöchentlich statt. Und auch an den Nachwuchs wird gedacht. »Sukkat Schalom ist ein Lernort der Juden im Südwesten Berlins«, sagt Simoni.
Unterricht Die Gemeinde sei »kein Altersheim«, betont Simoni. In den vergangenen Wochen hätten sich mehrere Beter über Nachwuchs gefreut: Acht Kinder sind auf die Welt gekommen. Alle wurden am Freitag nach der Beschneidung zur Namensnennung im Gottesdienst eingeladen. Auch die Gruppe der Kinder, die zu Erew Schabbat am Unterricht teilnehmen würde, sei so gewachsen, dass man sie habe unterteilen müssen, berichtet das Vorstandsmitglied.
Während die Vorschulkinder und Erstklässler gezielt unterrichtet werden, um Gebeten in Iwrit folgen zu können, sollen die Kleineren spielerisch die Brachot lernen. Etwa 25 Kinder von Gemeindemitgliedern werden regelmäßig von zwei Pädagogen unterrichtet. Da der Rabbiner viel Wert auf eine Praxisverbindung legt, sind die Kleinen auch immer kurz im Gottesdienst dabei. Das neue Unterrichtsangebot wird nach den Hohen Feiertagen beginnen.
Schawuot Sukkat Schalom hat nun auch den »Schabbat L’dor wa dor« eingeführt, sodass am Schabbat nach Schawuot ältere Gemeindemitglieder den jüngeren die Torarollen übergeben, während die Kleineren unter einem Tallit gemeinsam zur ersten Alija aufgerufen und danach vom Rabbiner gesegnet werden. Der Blumenschmuck von Schawuot wird nach dem Gottesdienst am Ort der ehemaligen Reformsynagoge Johannisstraße in Berlin-Mitte niedergelegt. Sukkat Schalom sei die einzige Reformgemeinde in Berlin, so Simoni.
Die Betergemeinschaft ist sowohl Mitglied der World Union of Progressive Judaism als auch der Union progressiver Juden in Deutschland. Außerdem gibt es einen Grundkurs, in dem Interessierte und Menschen, die zum Judentum übertreten wollen, die Grundzüge des Judentums erklärt bekommen. Etwa 20 Teilnehmer sind regelmäßig dabei.
»Ich wohne 20 Minuten von der Synagoge Rykestraße entfernt, aber ich komme zur Synagoge am Hüttenweg, weil es der Gottesdienst meiner Großeltern ist«, erzählt Gabbai Konstantin Münz. Er wolle dahin, wo die Reform sei.
Und Rinah Neubauer sagt: »Als Kind fand ich es langweilig, stundenlang in der Synagoge zu sitzen und nichts machen zu können. Als Kind und Frau hatte ich nichts zu melden. In dieser Synagoge habe ich als Frau einen Tallit angelegt. Die Frauen werden mit einbezogen – und auf diese Weise bekomme ich einen anderen Zugang zum Geschehen.« So sei sie vollwertig dabei und deshalb fühle sie sich so wohl.
Unterstützung Sukkat Schalom wird von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit »kleineren Beträgen« aus dem Etat unterstützt. Außerdem trägt sie die Mietkosten von 12.000 Euro und stellt den Sicherheitsdienst. »Unser Rabbiner amtiert glücklicherweise ehrenamtlich, dennoch sind wir auf weitere Spenden angewiesen«, sagt Benno Simoni. Denn der Mitgliedsbeitrag beträgt gerade einmal 18 Euro im Jahr. Bis zu 30.000 Euro nimmt die Gemeinde an Spenden ein.
Extraausgaben würden schon mal von einem der Wohltäter übernommen. Wenn etwas fehlt – wie beispielsweise die weißen Mäntel für die Torarollen – dann komme es vor, dass Beter in ihre eigene Tasche greifen und sie bezahlen würden. »Wir waren schon immer ein Verein, in dem alle Mitglieder mithelfen können und sollen.«
Auch musikalisch entwickelt sich der Gottesdienst weiter. Die beiden Vorbeterinnen, Esther Hirsch und Noga Hartmann, suchen neue Melodien zur Variation der Gottesdienste aus und studieren diese mit den Betern ein. Der Chor der Synagoge Herbartstraße ist mit einer neuen Leitung zum Hüttenweg gekommen und bereichere den Gottesdienst ebenfalls.
Inzwischen ist der Gottesdienst zu Ende gegangen, und auch der anschließende Kiddusch ist beendet. Und wieder beginnt das Stühlerücken. Gemeinsam werden die Sitzgelegenheiten gestapelt und in die Ecke geräumt. Als Letztes wird der Toraschrank verschlossen. Wenige Minuten später erinnert schon nichts mehr an eine Synagoge. Andere können jetzt wieder die Mehrzweckhalle nutzen.
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