Frankfurt

Vorübergehend ausgeschlossen

Die Westend-Synagoge in Frankfurt: Bislang durfte auch Rabbiner Zalman Gurevitch hier lejnen. Foto: ullstein

Das beeindruckende Gewölbe der Westend-Synagoge, Partystimmung im Garten, der Riss in der Außenhaut des Gebäudes, diese Bilder zieren die Startseite der Jüdischen Gemeinde Frankfurt im Internet. Seit dem 20. März verweist ein großer Button auf eine »Information für alle Mitglieder«. »Mit großem Bedauern teilen wir mit«, erfahren die interessierten Leser aus einem dort abgelegten Brief, »dass unsere anhaltenden Bemühungen, mit Chabad Lubawitsch Frankfurt am Main ein friedliches Miteinander unter einem Dach zu gestalten, bisher gescheitert sind«.

Künftig werde die Gemeinde keine Veranstaltung mehr unterstützen und »keine Räumlichkeiten für Veranstaltungen und Aktivitäten von Chabad Lubawitsch Frankfurt zur Verfügung stellen«, heißt es weiter in dem zweiseitigen Brief, der vom Vorstandsvorsitzenden Salomon Korn sowie den weiteren Vorstandsmitgliedern Benjamin Bloch, Marc Grünbaum, Leo Latasch und Harry Schnabel unterzeichnet ist.

Respektlosigkeit »Nach dem Ausscheiden von Oberrabbiner Menachem Halevi Klein und der Anstellung von Rabbiner Avichai Apel«, heißt es in dem Schreiben weiter, habe die Führungsebene von Chabad Lubawitsch Frankfurt »die Autorität des Rabbinats der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main K.d.ö.R. diskreditiert, die Verantwortung, die die Gemeinde als Hausherr in der Westend-Synagoge hat, ignoriert und sich gegenüber der Gemeindevertretung respektlos verhalten«. Obwohl Chabad in der Vergangenheit von der Jüdischen Gemeinde »stets ideelle und materielle Unterstützung« und viele Freiheiten in der Nutzung von Räumlichkeiten der Gemeinde bekommen habe, sei sie »nicht kooperativ« und »vor allem auf eigene Interessen bedacht« gewesen.

Die Mitteilung des Gemeindevorstands dürfte ein Novum in der Nachkriegsgeschichte der jüdischen Gemeinden in Deutschland sein. Die viertgrößte Gemeinde der Bundesrepublik, die auf ihre religiöse Einheit von orthodoxem, konservativem, liberalem und Reformjudentum immer besonderen Wert gelegt hat, kündigt der chassidischen Gruppierung von Chabad Lubawitsch die Zusammenarbeit auf. In seinem Schreiben betont der Vorstand, dass das jüdische und religiöse Leben in Frankfurt »vor Chabad möglich war, und wir versichern, dass es auch ohne Einbindung von Chabad weiterhin möglich sein wird«.

Vorstandsmitglied Harry Schnabel möchte den Gemeindebrief jedoch nicht als einen generellen Ausschluss von Chabad aus der jüdischen Gemeinschaft in der Mainmetropole verstanden wissen. »Wir haben keinerlei Probleme mit ihnen«, betonte der Gemeindedezernent für Finanzen und Steuern in einem ausführlichen Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Allerdings hätten einzelne Mitglieder der Gruppierung in den vergangenen Monaten massiv die Autorität der fest angestellten Rabbiner infrage gestellt. »Das konnten wir nicht länger verantworten.« Im Zentrum der Vorstandskritik steht vor allem der Frankfurter Direktor von Chabad, Rabbiner S. Zalman Gurevitch.

Halacha In einer auf Facebook publizierten und positiv wie negativ kommentierten Erklärung weist Chabad Frankfurt die Vorwürfe des Gemeindevorstands zurück. Nach jüdischem Recht – der Halacha – sei es nicht zulässig, »einen Vorleser nach langer Zeit grundlos und ohne dessen Zustimmung seines Amtes zu entheben«, heißt es in der im Internet diskutierten Erklärung. »Solch ein Vorgehen würde das grundlose Aufheben einer verbindlichen Rechtsnorm – einer Chasaka – beinhalten und grenzt an das verbotene Eindringen in den geschützten Bereich eines anderen. Unsere Weisen und Rechtsgelehrten warnen uns immer wieder ausdrücklich und unter Androhung strenger Maßregeln vor solchem Verhalten.«

Auf Fragen der Jüdischen Allgemeinen wollte Rabbiner Gurevitch nicht antworten. Er versprach aber eine schriftliche Stellungnahme. Sie lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

In der Facebook-Erklärung heißt es weiter: »Seit 26 Jahren ist Rabbiner Zalman Gurevitch zum Baal Kore – dem Vorleser der Tora – in der Frankfurter Hauptsynagoge im Westend bestellt. In dieser Eigenschaft trägt er jeden Schabbat und Feiertag die entsprechenden Abschnitte der Tora, als auch zu Purim die Megillat Esther der Gemeinde vor. Die im Lauf dieser Zeit in Frankfurt dienenden Oberrabbiner waren bekanntlich ohne Ausnahme mit Rabbiner Gurevitchs Ausführung dieses Amtes zufrieden.«

Funktion Dieser Erklärung widerspricht Vorstandsmitglied Schnabel vehement. Gurevitch habe, wie andere auch, dort »lejnen dürfen«. Daraus leite sich jedoch kein Recht ab. Aber genau hier liege ein großes Problem mit dem Chabad-Rabbiner. Zalman Gurevitch sei weder Angestellter der Gemeinde noch bestellter Rabbiner oder Vorleser in der 1100 Beter fassenden Westend-Synagoge gewesen.

Verantwortlich seien die beiden fest angestellten orthodoxen Gemeinderabbiner Avichai Apel und Julian-Chaim Soussan. Dies hätten Gurevitch und seine Jeschiwa-Bocherim nicht akzeptiert. Der 42 Jahre alte Apel sitzt seit Langem im Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD), Soussan ist Mitglied des Beirats der ORD.

Einer der Gründe für das Zerwürfnis sei möglicherweise, sagt Harry Schnabel, dass unter Rabbiner Apel die Aufnahme Zalman Gurevitchs und einer großen Gruppe von Chabad-Rabbinern in die ORD abgelehnt wurde, da dieser nur fest angestellte Gemeinderabbiner angehören könnten. Der Ärger und die Aufregung darüber habe danach – in der Öffentlichkeit allerdings nicht wahrgenommen – »Züge einer persönlichen Fehde« angenommen, bedauert Schnabel. Im Vorfeld der Bestellung von Apel als Nachfolger von Rabbiner Menachem Halevi Klein seien dann in der Gemeinde »unschöne Debatten« geführt worden.

Vakuum Besonders der kritisierte Chabad-Rabbiner habe die Zeit des Übergangs genutzt, in ein »religiöses Vakuum« zu stoßen, und Aufgaben übernommen, zu denen ihn die Gemeinde niemals beauftragt habe. Selbstkritisch sagt der Frankfurter Finanzvorstand: »Wir haben aus falsch verstandenem Respekt zu lange ein Auge zugedrückt.« Seit dem Amtsantritt Apels sei der Konflikt sukzessive eskaliert. Immer wieder habe es Sitzungen der Gemeinderabbiner und der Chabad-Vertreter gegeben, auch der Vorstand habe sich eingeschaltet, um den Konflikt zu lösen.

»Unsere Arbeitsgrundlage ist es, dass von allen respektiert wird, wer in unserer Synagoge das Sagen hat«, sagt Schnabel im Namen des Vorstands. Das Verhalten von Gurevitch und seinen Jeschiwa-Bocherim zu Purim habe aber schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Beim Vortragen der Megillat Esther hätten diese sich so um die Bima aufgebaut, dass es den Gemeinderabbinern nicht möglich gewesen sei, zum Lesepult zu gelangen. Darüber berichteten auch andere Teilnehmer im Internet.

Hausrecht Deshalb habe man dem Chabad-Direktor mitgeteilt, dass er nicht mehr aus der Tora vorlesen dürfe. Das Gemeindehausrecht habe man dann am Schabbat Ki Tissa, dem 18. März, auch durchgesetzt. In der Chabad-Erklärung steht: »Vorstand und Sicherheitsmänner waren gekommen, weil ein Einzelner die Meinung vertritt, dass er allein aus der Tora vorlesen darf und meint, Rabbiner Gurevitch entgegen jüdischem Recht seines Amtes entheben zu dürfen.«

Nachdrücklich betont Schnabel, dass die »bedauerlichen Ereignisse« sich nicht gegen Chabad Lubawitsch in ihrer Gesamtheit richten. Das Altenzentrum der Gemeinde werde sogar von einem »sehr beliebten« Chabad-Rabbiner betreut. Ohne Respekt gehe es jedoch nicht in einer Einheitsgemeinde. Dafür stünden Frankfurt und der Vorstand, betont er. »Die Tür steht für eine Lösung nach wie vor offen.«

Frankfurt/Main

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