Berlin

Vorschlag zur Güte

Das, was sich Zentralratspräsident Dieter Graumann vorgenommen hat, klingt nach einer Herausforderung. Er will zwischen dem Chef der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, und der Opposition vermitteln: »Der Zentralrat der Juden und ich selbst sind bereit, uns mit Zeit und Kraft zu engagieren, um eine Verständigung möglich zu machen. Dieses Angebot habe ich für den Zentralrat gemacht. Jetzt liegt es an den beteiligten Parteien, darauf zu reagieren.« Allerdings seien, betont Graumann, die Gemeinden autonom. »Daher sind uns als Zentralrat Grenzen gesetzt. Mehr können wir nicht anbieten.«

Micha Guttman von der Initiative Neuwahl 2013 begrüßt Hilfe vom Zentralrat. Er hält es für »wesentlich, wenn sich der Zentralrat mit der Situation der Gemeinde befassen würde«. Deswegen habe man auch bereits vor einem Jahr das Schiedsgericht des Zentralrats angerufen, um auf die fehlende Transparenz in der Repräsentantenversammlung (RV) aufmerksam zu machen, sagte der Rechtsanwalt. Allerdings warte man noch auf eine Reaktion.

Krise Eine Stellungnahme der Gemeinde zum Vermittlungsangebot des Zentralrats lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor. Dass die Gemeinde Hilfe derzeit gut gebrauchen kann, wurde am vergangenen Donnerstag deutlich. Bevor die RV um 19 Uhr in der Fasanenstraße begann, hatte die Opposition in den Kinosaal des Hollywood Media Hotels am Kurfürstendamm geladen, um über einen Weg aus der Krise der Gemeinde zu sprechen.

Diese Krise war auf der Leinwand zu sehen – in Form von per Smartphone aufgenommenen Szenen aus der vorletzten RV, die mit Handgreiflichkeiten, wüsten Beschimpfungen und in einem Polizeieinsatz endete. »Peinlich«, wurde im Saal geflüstert, während der kurze Film lief. Das Wort beschreibt, was die Gemeindemitglieder, die der Einladung gefolgt waren, empfinden. Sie schämen sich für ihre Gemeinde, immerhin die größte in Deutschland.

Offener Brief Auch die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK) hat die Zustände in der Berliner Gemeinde scharf kritisiert. So dürfe es nicht weitergehen, »zu unser aller Wohl«, erklärte der ARK-Vorsitzende Henry G. Brandt am Montag in einem Offenen Brief an den Gemeindevorstand. Brandt findet es »beschämend«, in ausländischen Zeitungen über die chaotischen Zustände in der Berliner Gemeinde lesen zu müssen. Als zahlenmäßig bedeutendste sei die Berliner Gemeinde das »Flaggschiff« der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. »Schon aus diesem Grund sind die jüngsten Ereignisse keine reinen inneren Angelegenheiten, sondern von direktem Belang für uns alle, denn wir sitzen wohl oder übel alle im selben Boot«, betonte Brandt. An Vorstand und Repräsentantenversammlung appelliert er, »ihr Haus in Ordnung zu bringen«.

Ilan Kiesling, Sprecher der Jüdischen Gemeinde, findet es »bedauerlich, dass eine geachtete Persönlichkeit wie Rabbiner Brandt eine gute Chance zur Mediation verpasst hat«. Brandt habe »einen Brief veröffentlicht, noch bevor überhaupt nichtöffentliche Gespräche geführt wurden«, sagte Kiesling.

Der Gemeinde ein würdiges und demokratisches Image zu geben, sei das Ziel der Opposition, die am vergangenen Donnerstag durch Micha Guttmann, Sergey Lagodinsky, Tuvia Schlesinger, Michael Joachim, Carola Melchert-Arlt und Jewgenij Gamal verteten war. Sie hatte beschlossen, die RV zu boykottieren. Micha Guttmann appellierte gleich zu Beginn: »Treten Sie nicht aus der Gemeinde aus!« Denn um die Gemeinde bei ihrem demokratischen Wandel zu begleiten, bedürfe es aktiver Mitglieder. Noch besser allerdings wären Neuwahlen.

Dafür plädieren Schlesinger, Guttmann und Joachim mit ihrer Initiative »Neuwahl 2013«. Dafür benötigen sie Unterschriften von 1850 wahlberechtigten Mitgliedern. Nach eigenen Angaben hat die Initiative bis jetzt knapp über 1600 Stimmen. Gemeindesprecher Kiesling ist skeptisch: »Die Neuwahlinitiative versucht nun schon seit einem halben Jahr, das erforderliche Quorum an Stimmen zusammenzubekommen.« Die Methoden würden laut Kiesling »leider von Woche zu Woche immer aggressiver. Es ist schade, dass diese vorhandene Energie nicht zum Wohle der Gemeinde genutzt wird.«

MEDIATOR Carola Melchert-Arlt, die erst vor Kurzem aus dem Vorstand ausgetreten war, möchte, dass sich grundlegend etwas in der Gemeinde ändert. Deswegen hatte sie in einem Brief an den Zentralrat um Hilfe gebeten. »Noch gibt es von Gideon Joffe keine Rückmeldung dazu«, weiß Melchert-Arl. Die kann auch Pressesprecher Ilan Kiesling nicht geben, der am Donnerstagnachmittag ebenfalls im Kinosaal saß.

Michael Joachim hatte ihn während des knapp zweistündigen Treffens beobachtet: »Sie müssen sich doch unwohl in Ihrer Haut fühlen«, sprach er Kiesling direkt an. Doch der erwiderte, er sei froh, nicht gleich rausgeschmissen, sondern nur beschimpft zu werden. Rausschmeißen, darin war sich das Publikum im Saal einig, sei nicht der richtige Stil. Man wolle diskutieren und rasch zu einer Lösung kommen.

Der Rechtsanwalt und ehemalige Gemeinderepräsentant Benno Bleiberg fragte, ob es für das Quorum ein Zeitfenster gebe und, falls es scheitern sollte, ob die Opposition einen Plan B. »Eines ist sicher«, betonte Schlesinger, »eine Austrittsgemeinde ist keine Alternative.« Er möchte das Werk, das die Großeltern und Eltern aufgebaut haben, nicht aufgeben. Auch die ehemalige Gemeindevorsitzende Lala Süsskind appellierte: Wenn jeder zehn Stimmen für den Neuwahlantrag sammeln würde, hätte man ein gutes Polster. Nach der Sommerpause werde man weitersehen. Fest stehe jedenfalls, dass die sieben Mitglieder der Initiative dann wieder an der RV teilnehmen werden.

tagesordnung In der Fasanenstraße ging es vergangenen Donnerstag bei der RV – der letzten vor der Sommerpause – eher ruhig zu. Fast alle Beschlüsse – es reichte jeweils eine einfache Mehrheit von elf Stimmen – wurden einstimmig gefasst, und nach knapp anderthalb Stunden war die öffentliche Tagesordnung abgearbeitet.

Man äußerte sich nicht zur Finanzlage der Gemeinde, und es gab auch keinen Vorstandsbericht. Natalija Apt wurde zum neuen Vorstandsmitglied und zur Schuldezernentin gewählt und tritt damit die Nachfolge von Carola Melchert-Arlt an. Gideon Joffe wurde zum neuen Vertreter im Rundfunkrats des RBB gewählt und könnte damit Tuvia Schlesinger ablösen, der derzeit die Gemeinden Berlins und Brandenburgs in diesem Gremium vertritt.

Das Fehlen der sieben Oppositionsmitglieder machte sich nur daran bemerkbar, wie Michael Rosenzweig, Vorsitzender des Präsidiums, betonte, dass keine Mitglieder für den Schiedsausschuss gewählt werden konnten, da dazu eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, die nicht vorhanden war. Dieser Punkt steht bereits seit über einem Jahr auf der Tagesordnung. Bisher erfolglos.

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