Feststimmung in der Chemnitzer Gemeinde: Gleichzeitig mit der abgeschlossenen Sanierung der Synagoge wurde die zweite koschere Torarolle eingebracht. Jung und Alt aus der Gemeinde, enge Freunde des Hauses, Vertreter der Stadt und der Kirchen, Künstler und spontan hinzugekommene Gäste gaben sich Mitte September ein fröhliches Stelldichein.
Punkt 16 Uhr traf der Umzug mit der neuen, aus Israel stammenden Torarolle am Gemeindezentrum in der Stollberger Straße ein. »Wir werden immer jeckischer«, scherzte die Vorsitzende Ruth Röcher, um sich danach über diesen besonderen Tag herzlich zu freuen. Bisher verfügte die Gemeinde nur über eine einzige koschere Torarolle. »Für eine Gemeinde, in der alle Schabbatot und Feiertage gefeiert werden, reicht dies auf Dauer natürlich nicht aus. Das war uns allen klar, und wir freuen uns riesig, dass wir nun auf zwei zurückgreifen können«, sagte Röcher.
Rabbiner Yakov Pertsovsky, seit 2015 im Amt, verknüpfte mit der Einbringung »die Hoffnung, dass damit noch mehr jüdisches Leben in die Gemeinde kommt«. An Erew Rosch Haschana konnte schon zum ersten Mal aus der Rolle gelesen werden.
Widmung Das Besondere an der Feier waren Erwerb und Widmung der Torarolle sowie der musikalische Rahmen durch den beeindruckenden Gesang des Amsterdamer Kantors Sacha van Ravenswade und die Klavierbegleitung von Luisa Pertsovska.
Die Gemeindevorsitzende Ruth Röcher hatte gleich zu Beginn darauf verwiesen, dass die neue Torarolle dem früheren langjährigen Vorsitzenden der Chemnitzer Gemeinde, Siegmund Rotstein, gewidmet ist. Zu dessen 90. Geburtstag vor knapp zwei Jahren hatte man nach einem würdigen Geschenk gesucht. Rotstein selbst hatte die Idee, eine große Spendenkampagne für die zweite Torarolle zu starten. »Ich bin sehr froh, dass wir dabei so schnell an unser Ziel gekommen sind«, so der »Elder Statesman« der Chemnitzer Gemeinde. 40 Jahre lang, von 1966 bis 2006, hatte er sie durch dick und dünn gesteuert. Dass die Kehille ihrem Ehrenvorsitzenden danken wollte, ist nur zu verständlich.
An Rotstein gewandt, lobte der junge Rabbiner Pertsovsky: »Sie haben sehr viel für den Erhalt der jüdischen Tradition in dieser Stadt getan. Sie haben die Immigranten aus der früheren Sowjetunion liebevoll und herzlich aufgenommen. Sie haben die Gemeinde in schwierigen Zeiten stabilisiert, und ohne Menschen wie Sie gäbe es keine jüdische Zukunft in Deutschland.«
Freund Einer der wichtigsten Spender für die neue Torarolle ist ein Freund Rotsteins noch aus Chemnitzer Kindertagen. So wie dieser überlebte Ruben Reiter mit viel Glück die Schoa. Doch während Rotstein in das zerbombte Chemnitz zurückkehrte und sich dort der bald wieder gegründeten jüdischen Gemeinde anschloss, ging Ruben Reiter aus zionistischer Überzeugung nach Palästina, baute dort einen Moschaw mit auf und lebt seit 70 Jahren glücklich im jüdischen Staat.
Er wäre gern zur Toraeinbringung gekommen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen schließlich doch nicht anreisen. Gleichwohl waren sein Bruder und Verwandte aus Berlin gekommen. Siegmund Rotstein selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, die neue Torarolle auf der Stollberger Straße zu tragen. Mit leuchtenden Augen bemerkte er später: »Wir sind wieder ein Stück weiter gekommen, und das stärkt das Selbstbewusstsein.«
Bei der Beschaffung der Torarolle hatte Rabbiner Tuvia Hod aus Bad Kissingen geholfen. Hod ist der Chemnitzer Gemeinde seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, berät sie in Kaschrutfragen und anderen religiösen Angelegenheiten. Hod war es auch, der dem geehrten Siegmund Rotstein und Rabbiner Pertsovsky feierlich einen prachtvollen weißen Mantel für die Tora übergab.
Nach begeisternden musikalischen »Zugaben« kamen Glückwünsche von allen Seiten. Ruth Röcher hatte an diesem Nachmittag noch eine gute Nachricht parat: »Nachdem unser Synagogenraum nun komplett saniert ist, rechtzeitig zu den Hohen Feiertagen, kann auch die Sanierung von Foyer, Glasdach und Mikwe beginnen.« In den vergangenen Jahren waren im Gemeindezentrum erhebliche Schäden durch Feuchtigkeit festgestellt worden. Bei ihrer Behebung, die besonders schwierig werden wird, helfen der Freistaat Sachsen, die Stadt Chemnitz und der Zentralrat der Juden.