Herr Joffe, 2012 ist Koach mit dem Vorsatz angetreten, die Gemeinde weiter aus- und aufzubauen. Inwiefern haben Sie Ihre Ziele von damals erreicht?
Wir haben die Grundlagen dafür geschaffen – dank der engen Zusammenarbeit zwischen allen Koach-Mitgliedern. Denn unsere Ziele, mit denen wir geworben haben, lassen sich nur erreichen, wenn die Finanzen stimmen: Wir haben es geschafft, die Staatszuschüsse jährlich um zusätzliche zwei Millionen Euro anzuheben. So ist jetzt die Grundlage dafür geschaffen, dass die Gemeinde weiter wachsen kann.
Was, würden Sie sagen, ist Ihr größtes Verdienst der letzten vier Jahre?
Das sind zwei Dinge: Zum einen haben wir bei den Verhandlungen mit dem Senat nicht nur eine Finanzierungssicherheit erreicht, sondern dabei als Gemeinde auch an Selbstbewusstsein gewonnen. Gespräche mit dem Senat finden nun auf Augenhöhe statt. Zuschussgewährung ist keine Ermessensfrage mehr, sondern rechtlich abgesichert, auch in Zukunft. Zum anderen haben wir die Gemeinde vor der Pleite gerettet. Wir haben bewiesen, dass man gut durch die Legislatur kommen kann, ohne Grundstücke zu verkaufen, ohne Wertpapiere oder sonstiges Vermögen der Gemeinde antasten zu müssen. Das Einzige, was man schaffen muss, ist eine strenge Haushaltsführung.
Ebenso haben Sie 2012 professionellere Führung, mehr Transparenz und eine positivere Außendarstellung der Gemeinde versprochen. Heute tritt das oppositionelle Bündnis Emet mit genau diesen Zielen an – wie wichtig ist Ihnen etwa die Außenwirkung der Gemeinde?
Sehr, sehr wichtig. Allerdings kämpft man gegen Windmühlen, wenn Repräsentanten der Opposition nur ein Interesse verfolgen, nämlich das Ansehen der Gemeinde in der Öffentlichkeit zu zerstören. Dagegen ist man als Vorstand machtlos. Da bleibt dann nur der Fokus auf die innerjüdische Öffentlichkeit. Gemeindeintern spüren wir eine große Zustimmung.
Die Opposition wirft Ihnen vor, die Satzung und die damit verbundenen demokratischen Regeln ausgehebelt zu haben, indem etwa Einladungen zur Repräsentantenversammlung (RV) erst eine Woche vorher verschickt wurden. Wie wollen Sie in Zukunft gewährleisten, dass demokratische Prinzipien eingehalten werden?
Bei allen Einladungen hat sich das Präsidium der RV stets strikt an die Regelungen der Satzung und der Geschäftsordnung gehalten. Zu demokratischen Prinzipien gehört es aber auch, seinen demokratischen Pflichten nachzukommen – etwa indem die gewählten Repräsentanten aktiv ihre Stimme einbringen, ob nun in der RV oder Gremien wie dem Kulturausschuss. Wenn der Emet-Spitzenkandidat als Vorsitzender des Kulturausschusses in drei Jahren nur zwei Sitzungen einberuft, verstößt er eindeutig gegen die Geschäftsordnung und seine demokratischen Pflichten. Auch aus diesem Grund empfinden viele die geäußerte Kritik als unaufrichtig.
Emet sieht zudem die Einheitsgemeinde in Gefahr, sollten Sie wiedergewählt werden.
Die Einheitsgemeinde wird nur dann zerbrechen, wenn man die Mitglieder daran hindert, ihr Judentum so zu leben, wie sie möchten – dafür müssen wir jede Gewähr bieten. Solange daran nicht gerüttelt wird, wird auch die Einheitsgemeinde bestehen. Wir sind von ultraliberal bis ultraorthodox unter einem Dach vertreten. Um diese Vielfalt zu fördern, habe ich zum Beispiel in meiner ersten Amtszeit eine Rabbinerin eingestellt. Wenn jemand mich persönlich nicht mag, so hindert ihn das hoffentlich nicht daran, in die Synagoge zu gehen, die er sehr wohl mag. Denn das ist doch der Kern der Gemeinde – der Ritus, das Gebet.
Welche Aufgaben in der Gemeindearbeit sehen Sie heute als die dringlichsten an – und wie wollen Sie sie bewältigen, um die Gemeinde »fit zu machen fürs 21. Jahrhundert«?
Zwei Themen sind existenziell für unsere Gemeinde – Sicherheit und der Aufbau weiterer Institutionen. In der heutigen Zeit spielt die Sicherheit leider eine viel größere Rolle als noch in den Jahren oder Jahrzehnten zuvor. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass unsere Einrichtungen besser abgesichert sind. Zum anderen gab es in den letzten Jahren eine Unzufriedenheit in der Gemeinde, weil nicht alle Mitglieder von Dienstleistungen, die die Gemeinde anbietet, profitieren konnten – Stichwort Kindergartenplatz, Schule oder Seniorenwohnung. Das war lange Zeit eine Art Lotterie – nur der bekam einen Platz, der gute Kontakte hatte. Das ist weder transparent noch fair. Das haben wir geändert und auch hier mehr Transparenz geschaffen.
Gilt das auch für andere Bereiche?
Wir haben etwa im vergangenen Jahr erstmalig Kriterien aufgestellt, um die Aufnahmebewilligung fairer zu gestalten. So wollen wir natürlich auch in anderen Bereichen agieren. Entscheidungen müssen nachvollziehbar und transparent sein – unter der Bedingung, dass man die Informationen, die man auf dem Weg zu einer transparenten Entscheidung erhält, nicht sofort in »IM-Stasi-Manier« an die Senatsverwaltung für Bildung weitergibt. Denn leider bestand in den vergangenen Jahren eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Repräsentanten der Opposition und der Senatsverwaltung für Kultur – unserem direkten Zuschussgeber. Diese enge Zusammenarbeit wurde jedoch nicht zum Wohl der Gemeinde genutzt, sondern um ihr zu schaden.
Inwiefern?
Indem sich Repräsentanten der Opposition etwa vehement dafür eingesetzt haben, Zuschüsse zu kürzen. Es darf nie wieder passieren, dass Gemeindemitglieder der Senatsverwaltung aus taktischen Beweggründen interne Informationen zuspielen. Dabei haben wir doch nichts anderes versucht, als mithilfe des bestehenden Staatsvertrages höhere Zuschüsse für die Gemeinde zu erwirken. Anstatt uns bei diesen doch selbstverständlichen Zielen zu unterstützen, hat die Opposition die ganze Zeit geschwiegen und hinter den Kulissen gegen uns agiert.
Neben dem Ausbau der Gemeindeinstitutionen steht die Gemeinde vor generationenübergreifenden Herausforderungen – wie wollen Sie den Spagat schaffen, sich einerseits für Senioren zu engagieren und andererseits Familien und junge Leute stärker an die Gemeinde zu binden?
Wir streben zum Beispiel mehr seniorengerechte Wohnungen in einem jüdischen Umfeld an. Genau zu diesem Zweck hat die Gemeinde bereits vor 15 Jahren ein Grundstück erworben. Seitdem ist auf diesem Grundstück nichts passiert, weil sich die Repräsentanten untereinander bislang nicht einigen konnten. Da wollen wir endlich loslegen. Außerdem wollen wir unsere Senioren auch in Bezug auf ihre Renten unterstützen – es ist eine riesige Ungerechtigkeit, dass jüdische Rentner aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion schlechter behandelt werden als Aussiedler. Da muss Gleichheit geschaffen werden.
Wie kann das aus Ihrer Sicht gelingen?
Gelingen kann es nur, wenn man überhaupt die Möglichkeit hat, sich auch um diese fundamental wichtigen Dinge zu kümmern, weil nun die Zuschüsse bewilligt sind. Die Bindung der Jugend an die Gemeinde ist sicher ein Schwachpunkt, den wir anpacken müssen. Wir hoffen, dass wir gemeinsam mit den Synagogen ein stärkeres Netzwerk aufbauen können. So setzen wir etwa auf engagierte Beter in allen Synagogen, die in die Familien hineinwirken, zum Beispiel rund um die Feiertage und Schabbat. Die Gemeinde hat 10.000 Mitglieder – regelmäßigen Kontakt haben wir zu 4000. Um die anderen 6000 kümmern wir uns bisher zu wenig – das wollen wir ändern durch direkte Arbeit mit den Menschen.
Zehn der Koach-Kandidaten treten zum ersten Mal bei der Gemeindewahl an – wodurch zeichnen sie sich aus?
Jede Partei, die sich zur Wahl stellt, muss in der Lage sein, 21 geeignete Kandidaten zu finden, die bereit sind, sich zu engagieren. Wer weniger Kandidaten in der Mannschaft hat, beweist damit, dass er nicht das Vertrauen der Gemeindemitglieder besitzt. Denn Veränderungen kann man nur bewirken, wenn man viele helfende Hände hat. Von den 21 Kandidaten sind bereits acht RV-Mitglieder der letzten Amtszeit gewesen, die anderen haben Koachs Reformkurs begleitet und unterstützt. Außerdem haben sie genügend Rückgrat, um nicht beim ersten Windstoß umzuknicken: Wenn man Dinge verändern möchte, erzeugt das einen gewissen Druck bei verschiedenen Interessengruppen. Die neu hinzugewonnenen Kandidaten sind Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen. Wir sind breit aufgestellt – es ist ein repräsentativer Querschnitt der Gemeinde: junge Menschen, Ältere, Erfahrene, Überlebende, Deutschsprachige, Russischsprachige, Orthodoxe, Liberale.
Damit wirbt auch Emet für sich: die Vielfalt der Gemeinde zu repräsentieren. Worin unterscheiden Sie sich?
Im Respekt vor den Überlebenden. Ich finde es nicht anständig, dass man sich nicht einmal bemüht hat, wenigstens einen Schoa-Überlebenden als Kandidaten aufzustellen – für Koach kandidieren übrigens drei. Denn wir sehen an der Diskussion der letzten Jahre, welche Bedeutung Erinnerungskultur einnimmt, nicht nur innerjüdisch, auch in der Öffentlichkeit. Wir müssen dafür das Geschehene wachhalten.
Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach interkultureller Dialog und Öffnung angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen? Emet wirft Ihnen vor, Sie würden sich abschotten ...
Natürlich, der Vorstand sollte mit symbolträchtigen Gesten vorangehen, aber solange die anderen permanent querschießen, ist das schwierig. Die starke Stimme der Gemeinde, die wir bislang hinter den Kulissen waren, etwa in den Verhandlungen mit dem Berliner Senat, wollen wir in den kommenden vier Jahren auch vor den Kulissen zum Vorschein kommen lassen.
Wo sehen Sie Schnittstellen in der Zusammenarbeit mit dem Land Berlin?
Wir haben viele Projekte im Blick, neben dem Aufbau der Institutionen vor allem im Bildungsbereich. Etwa bei den Themen Antisemitismus, Nahostkonflikt und Israel würden wir gern stärkere Maßnahmen und Konzepte entwickeln, zum Beispiel für Lehrer in Schulen. Da liegt richtige Basisarbeit vor uns.
Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder am vergangenen Freitag.