Gelsenkirchen

Von Schalke lernen

Kreativ in der Fankurve: Die Fans vom FC Carl Zeiss Jena werben bei der FARE-Aktionswochen 2009 für ein Stadion ohne Antisemitismus, Fremdenhass und Homophobie. Foto: Horda Azzuro

Der Himmel über der Gelsenkirchener Synagoge zeigt sich blau und weiß – ganz so, wie es sich die Fans des Profiklubs FC Schalke 04 in ihrer Hymne wünschen. Und tatsächlich sind zwischen den Besuchern am vergangenen Sonntag auch einige blau-weiß-geringelte Mützen und königsblaue Kappen zu sehen. Das Fanprojekt und die Faninitiative des Vereins haben zur Eröffnung der Ausstellung Tatort Stadion 2 in den großen Gemeindesaal eingeladen.

Bereits vor zehn Jahren schickte das Bündnis aktiver Fußball-Fans (BAFF) eine Wanderausstellung auf die Reise, die über Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und andere Auswüchse in den deutschen Fankurven informierte. An rund 200 Orten wurde die Ausstellung gezeigt, bevor man sie 2009 überarbeitete und aktualisierte.

kontakte »Es ist etwas ungewöhnlich, dass so eine Ausstellung in der Synagoge gezeigt wird«, räumt Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach bei der Eröffnung ein. »Aber wir sind in Gelsenkirchen und deswegen auch dem Fußball eng verbunden.« Seit der Spiel des FC Schalke 04 gegen Hapoel Tel Aviv in der Champions-League ist die Verbundenheit noch stärker. Dank der damals entstandenen Kontakte konnten sich das Fanprojekt und die Faninitiative an die Gemeinde wenden, um einen Ort für die Ausstellung zu finden.

»Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, welche Entwicklungen es gibt und was man dagegen tun kann. Deshalb sind wir glücklich darüber, solche aktiven Fußballfans in der Stadt zu haben«, erklärt Neuwald-Tasbach. Und noch auf einer anderen Ebene würde man von der Ausstellung profitieren: »Ich bin manchmal erschrocken, wenn ich mitbekomme, wie oberflächlich das Wissen unserer Besucher, etwa bei Schülern, über das Judentum und die Geschichte der Juden in Deutschland ist«, sagt sie. Durch die Ausstellung könnten Fans und interessierte Besucher, die eigentlich nur wegen der Ausstellung gekommen seien, mit der Gemeinde in Kontakt kommen und diese Erfahrungen dann nach außen tragen.

Schalke 04 engagiert sich schon seit einigen Jahren im Kampf gegen Rechtsradikalismus. 2005 veröffentlichten die Knappen als erster Bundesligaverein eine wissenschaftliche Studie, in der man die Schalker Geschichte während des Dritten Reiches erforschen ließ. 2008 wurde in die Satzung ein Antidiskriminierungsparagraf eingefügt, der dem Verein bei rassistischen Äußerungen eine rechtliche Handhabe gibt.

Erfolg »Wir können inzwischen sagen, dass wir in der Kurve keinen offenen Rassismus haben«, erklärt Fanprojektleiter Patrick Arnold während der Eröffnung der Ausstellung. »Dass wir das erreicht haben, hängt auch damit zusammen, dass diese Stadt multikulturell geprägt ist. Das spiegelt sich dann in der Fanszene wider. Alle stehen zusammen, selbstverständlich sind auch einige Juden bei uns organisiert.«

Das Engagement des Schalker Fanprojekts geht über die Grenzen des Stadions hinaus. Im Rahmen einer Ferienfreizeit besuchte man zuletzt die KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Ein Auswärtsspiel in München wurde dazu genutzt, mit jungen Fans im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren an einer Führung in der Gedenkstätte Dachau teilzunehmen. Und beim Auswärtsspiel in Tel Aviv bot das Fanprojekt eine Fahrt nach Yad Vashem in Jerusalem an.

Dieser Besuch kam auf Initiative eines Schalke-Fans zustande, der in Israel lebt. Er hatte den Fanklub im Vorfeld angeschrieben, die ganze Tour organisiert, damit die Schalker nicht nur das Stadion und den Strand kennenlernen, erzählt Arnold.

Auch die Ausstellung Tatort Stadion 2 geht über die Kurven und Tribünen rund um das Fußballfeld hinaus. So trägt eine Schaufensterpuppe zum Beispiel eine typische Kleidung, die bei Rechtsradikalen beliebt ist. »Aber die tauchen so ja nicht nur im Stadion auf«, erklärte Arnold. »Man sieht solche Sachen auf den Schulhöfen und kann sie im Stadtbild entdecken.« Das Schalker Fanprojekt informiert die Ausstellungsbesucher deshalb auch mit Broschüren über weitere Formen der Diskriminierung im Stadion und im Alltag.

Themen Auch das Bündnis aktiver Fußball-Fans wagt auf den Schautafeln einen Blick über das Fußballfeld hinaus. Rechtsrock, die NPD und das Verhalten der Medien und der DFB-Funktionäre werden genauso thematisiert wie das Geschehen in den Fankurven der Republik. Auf denen komme es zwar in den letzten 20 Jahren immer seltener zu rassistischen Ausfällen. Der Wunsch von einigen Fans, Aktiven und Fußball-Offiziellen nach dem Stadion als unpolitischem Ort habe zeitweise dazu geführt, dass sich Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Antiziganismus und andere Formen der Diskriminierung ohne Hindernisse ausbreiten konnten.

Den sogenannten Juden-Vereinen ist eine eigene Tafel gewidmet. Noch heute würden sich Vereine mit einem ehemals tatsächlich oder vermeintlich jüdischen Umfeld oft Schmähgesängen und Anfeindungen ausgesetzt sehen. Mit dem Gemeindehaus als Ausstellungsort haben das Schalker Fanprojekt und die Faninitiative ein schönes Zeichen gesetzt.

Tatort Stadion 2 bis 30. Januar, Jüdische Gemeinde, Georgstraße 2, Montag bis Donnerstag von 10 bis 16 Uhr, Freitag 10 bis 14 Uhr, Sonntag 12 bis 16 Uhr.

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