Berlin

»Von Moderne bis Hollywood«

Frau Sheffer, wofür steht der Festivaltitel?
Wir wollten den Komponisten Paul Ben-Haim in den Fokus rücken, anlässlich seines 120. Geburtstages. Schon die Wahl seines hebräischen Namens – ursprünglich hieß er Frankenburger – deutet diesen Neuanfang, dieses »neue Leben« an: Von 1924 bis 1931 war er Kapellmeister in Augsburg, 1933 emigrierte er aus Deutschland und lebte seitdem als Komponist und Dirigent in Tel Aviv. Dort komponierte er völlig neue Musik – eine Musik mit sehr starker Lebenskraft. Ben-Haim war schon in jungen Jahren unfassbar kreativ. Dass so jemand nach seiner Flucht nach Israel 1933 drei Jahre lang schweigt und danach ganz anders schreibt und Musik neu erfindet, möchten wir mit dem Festival zeigen.

Ist Ben-Haims Lebensweg exemplarisch für den anderer jüdischer Komponisten?
Ja, aber es gibt Unterschiede. Das Festival berührt vor allem drei Aspekte der Komponisten, die überlebt haben: vor der Flucht, als sie in Deutschland und Europa noch erfolgreich und bekannt waren – wir wollen zeigen, wie sehr sie kulturell zu ihrer Umgebung gehörten und um wie vieles bekannter und erfolgreicher sie geworden wären, hätte es Schoa, Verfolgung, Exil nicht gegeben. Dann kommt der Bruch: Was machte ein Komponist in diesen Jahren? Die einen starben krank, andere erschlossen sich ganz neue Zweige ihres Lebens – nicht jedoch, ohne zuvor zu schweigen wie Ben-Haim. Wir spielen aber auch Werke von Komponisten, die in der Schoa ermordet wurden.

Deren Musik jedoch überlebt hat?
So ist es. Mit dem Festival wollen wir die Komponisten und ihre Werke dem Vergessen entreißen und zeigen, welch immensen Beitrag sie zur deutschen, zur europäischen Kultur geleistet haben.

Welche Komponisten sind das?
Leo Smit etwa, ein niederländischer Komponist, verströmt mit seiner Musik Leichtigkeit und Freude, richtig jazzig. Er wurde 1943 in Sobibor ermordet. Dann gibt es den Prager Komponisten Erwin Schulhoff – seine Musik ist eher düster. Zudem spielen wir Pavel Haas – in seinen Stil fließen Jazz-Elemente, böhmisch-mährische Volksweisen und synagogale Gesänge ein.

Mit Ihrer Musikreihe KOL engagieren Sie sich seit Jahren für die Werke jüdischer Komponisten. Warum?
Es begann damit, dass ich zufällig auf David Eisenstadt stieß, der ermordet wurde. Je tiefer ich in diese Thematik eintauchte, umso mehr fühlte ich mich gewissermaßen berufen von der Idee, dass etwas von diesen Menschen überlebt hat, das vielleicht sogar größer ist als das eigene Leben. Diese Lebenskraft, die vielfach in Archiven versteckt ist, will ich herausholen.

... ebenso wie die Werke überlebender Komponisten. Ist diese »Neuerfindung nach dem Bruch« eine jüdische Erfahrung?
Es ist vor allem eine sehr individuelle Erfahrung. Und die ist bei allen unterschiedlich, das ist das Spannende. Nehmen Sie etwa Josef Tal, der nach dem Bruch aufhörte zu komponieren, und, als er nach Israel kam, sagte: Nein, ich bin Deutscher, und Musik hat keine Nationalität. Ben-Haim hingegen war schon immer sehr an sein Umfeld geknüpft. Diese Art von Individualität spiegelt sich in unserem Programm wider.

Es erklingen nicht nur Werke von Komponisten, die nach Israel geflohen sind.
Wir spielen auch Stücke von Kurt Weill, der in die USA emigrierte – die Entfremdung ist in seinen Liedern sehr präsent. Auch an Ernst Tochs Beispiel, der über London nach New York und später nach L.A. flüchtete und 1964 in Santa Monica starb, kann man sehr gut ablesen, wie viele Genres sich durch diese fundamentale Fluchterfahrung entwickelt haben. War er in Deutschland vor allem bekannt als Avantgardist, komponierte er später fast nur noch Filmmusik – obwohl er damit überhaupt nichts zu tun hatte! Aber gerade das suchte man damals, diese verrückten Effekte, und das konnte er.

Wie leicht fiel ihm dieser Genrewechsel?
Er hat zeitlebens darunter gelitten. Obwohl er auch Oscars gewann, hat es ihn immer geschmerzt, nicht mehr Avantgarde zu schreiben – so sehr, dass er einen Herzinfarkt bekam und aufhörte, Filmmusik zu schreiben. Er hat es nur gemacht, um zu überleben. Aber dieser Reichtum ist ja dennoch entstanden.

War die Thematik für die teilnehmenden Musiker neu?
Ganz und gar nicht. Das Festival ist – wie alle Projekte, die ich mache – für Musiker gedacht, die neben ihrer klassischen Karriere immer auch diese Musik erforscht, aufgenommen und aufgeführt haben. Zum ersten Mal sind wir alle gemeinsam unter einem Dach – wir wollten gemeinsam eine Bühne schaffen, die das Publikum überraschen wird mit dem Reichtum der Musik. Dieses Programm ist das Ergebnis aller Musiker, die teilnehmen.

Welche Highlights erwarten das Publikum an den drei Festivaltagen?
Es treten wunderbare Solisten auf, wie die Pianistin Ofra Yitzhaki, der Geiger Erez Ofer vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, die New Yorker Pianistin Gila Goldstein. Die Konzerte reichen von Moderne bis Tango, Broadway- und Filmmusik. Neben den Orchester- und Kammerkonzerten gibt es auch Vorträge und Künstlergespräche. Besonders freue ich mich auf die Deutschlandpremiere von Ben-Haims »Von Pan zu Peter Pan«, das ich singen werde, begleitet von Gila Goldstein am Klavier und dirigiert von Lior Shambadal. Sehr erfrischende Neuinterpretationen zeigen auch die Sinfonietta Piccola Lübeck, das Trio Figment, das Hauser String Trio und das Mirage Quartett.

Und die musikalische Bandbreite ...
... reicht dabei von Spätromantik bis Avantgarde, Tango, Broadway- und Filmmusik. Die Stücke erzählen von der künstlerischen Entwicklung der Komponisten wie auch von ihren individuellen Lebenswegen vor und nach dem Bruch der Schoa. Das Festival ist eine Brücke zur Gegenwart mit Wurzeln in der Vergangenheit.

Mit der Künstlerischen Leiterin des Festivals New Life sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

www.new-life-festival.com

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