Scheren, Kleber, Filzschreiber und Buntstifte liegen auf den Tischen. Arbeitsbögen, Baumstämme aus Pappe und Informationsplakate hängen an der Wand. Darüber sind Zettel mit kleinen Themenschildern angebracht. »Der Baum und seine Umgebung«, »Denn der Mensch ist ein Baum auf dem Felde« und die »Die sieben Arten« stehen darauf geschrieben – denn am vergangenen Sonntag drehte sich im Gemeindehaus in der Fasanenstraße alles um Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume.
Noch allerdings ist die Tür zum kleinen Saal verschlossen. Ungeduldig warten die Kleinen darauf, dass sie endlich in den Raum dürfen, um Tu Bischwat zu feiern.
200 Kinder und Jugendliche sind mit ihren Eltern zur Feier gekommen, um nicht nur sämtliche Details von der Wurzel bis zum Blatt zu lernen, sondern auch, um eine Premiere mitzuerleben. Denn die Heinz-Galinski-Schule, die Jüdische Traditionsschule Or Avner und das Jugendzentrum Olam haben gemeinsam mit Unterstützung des Jüdischen Nationalfonds Keren Kayemeth LeIsrael (JNF/KKL) einen Projekttag zum Fest auf die Beine gestellt.
»Die Heinz-Galinski-Schule und wir von der Jüdischen Traditionsschule hatten schon lange vorgehabt, mit allen gemeinsam Tu Bischwat zu feiern«, sagt Schulleiterin Heike Michalak in ihrer Eröffnungsrede. »Und nun ist es so weit«, verkündet sie stolz. Für alle werde etwas angeboten – unabhängig von den jeweiligen Schulprofilen. »Unsere Kinder können heute ganz viel arbeiten und Spaß haben«, betont die Schulleiterin. »Im Sinne von Tu Bischwat sollen auch sie wachsen«, ergänzt Noga Hartmann, Direktorin der Heinz- Galinski-Schule. Auch die Menschen brauchten lebensstarke Wurzeln, sagt sie. Daher sei es wichtig, dass die Kinder ihre jüdischen Wurzeln kennenlernen.
Blume »Das sieht ja schön aus«, sagt die achtjährige Rahel, als sie den Saal betritt. Sofort nimmt sie sich ein vorgedrucktes Blatt Papier, setzt sich an einen Tisch, schnappt sich einen neongelben Stift und fängt an, die Blüte auszumalen. An ihren Stuhl hängt sie die Tasche mit der Aufschrift »Tu Bischwat«, die sie am Eingang bekommen hat. Jeder Arbeitsbogen kommt in den grünen Hefter, der ebenfalls in dem Beutel war. Talia und Jahli, beide sieben Jahre alt, sitzen bereits auf ihren Stühlen. Vor ihnen liegt ein Blatt Papier, auf dem ein Baum zum Ausmalen vorbereitet ist. »Welche Farbe nimmst du?«, fragt Talia ihre Freundin. »Erst einmal Gelb«, antwortet sie selbstbewusst.
Ein paar Tische weiter hat sich der neunjährige Aryeh in die Geschichte »Der freigebige Baum« vertieft, während seine Schwester bereits die kleinen Bilder dazu ausmalt. Später wird sie sie ausschneiden und in der richtigen Reihenfolge aufkleben. Die Geschichte gehört zum Thema »Denn der Mensch ist ein Baum auf dem Felde«.
Aryeh fasst sie zusammen: »Ein Junge hat einen Baum gern, der ihm erst die Äpfel, dann das Holz und schließlich seinen Stamm schenkt. Später ist der Baum alt und kann dem Jungen nichts mehr geben.« So richtig spannend findet er die Geschichte nicht, gibt Aryeh zu, aber die Fragen, die ihm zum Text gestellt werden, will er trotzdem beantworten.
Jahresringe Elias hat eine Baumscheibe vor sich und zählt: »... 68, 69, 70. 70 Jahre ist dieser Baum alt!« So viele Lebensringe hat er entdecken können. Aber wo soll er nun das Ergebnis eintragen? Während Elias noch sucht, sitzen die drei Freundinnen Sofie, Adriana und Rebekka neben ihm und unterhalten sich. »Wir malen eine Fantasieblume«, legen die Mädchen einstimmig fest. Und wenn die fertig ist, dann wollen sie das Blatt in ihrem grünen Hefter ablegen. »Wir möchten alle Stationen besuchen«, verkünden die Mädchen. Das sei ihr Ziel – und am Ende würden ihre Taschen dann voll sein.
Die Stoffbeutel sind für die Kinder als Erinnerung an Tu Bischwat gedacht. »Es gibt keine Extra-Belohnungen wie Gummibärchen, sondern die Kinder belohnen sich selbst mit der Tasche«, sagt Stefanie Gomila, Lehrerin von Or Avner.
Zwei Brüder denken gerade über die Redensarten nach, in denen Bäume vorkommen. »Ein Kerl wie ein ...«, liest der Sechsjährige vor und schaut seinen großen Bruder fragend an. »Keine Ahnung, wie der Satz weitergeht«, sagt der Kleinere ratlos. »Ein Baum! Ein Kerl wie ein Baum«, ergänzt der 14-Jährige.
Ein paar Meter weiter dreht sich alles um die sieben Pflanzenarten – Olive, Granatapfel, Weizen, Feige, Weinrebe, Dattel und Gerste –, für die die Kinder Ausweise erstellen können. Dafür müssen sie die entsprechenden Bilder dieser Pflanzen aufkleben. Dann noch den Namen dazugeschrieben sowie die Nutzung und Verbindung zur jüdischen Tradition – fertig ist der Pflanzenausweis. »Du hast aber viel Kleber genommen«, sagt eine Mutter zu ihrer vierjährigen Tochter, die Linsen, Hirse, Mais und Leinsamen stellvertretend für die Früchte auf die vorgedruckten Zweige aufgeklebt hat.
Sie ist von diesem Projekt begeistert: »So lernen die Kinder diesen Tag noch einmal ganz anders kennen und werden ihn in Erinnerung behalten.«
Planetarium Am selben Tisch sitzt Jonathan, der versucht, das Tu-Bischwat-Emblem auf einen weißen Pappteller abzupausen. »Es hat geklappt«, freut sich der Neunjährige und zeigt zufrieden auf sein Werk. Gleich aber warten die Sterne auf ihn. Denn zur großen Freude fast aller Kinder kommt aus dem großen Saal ein dunkles Surren. Viele kleine Augenpaare wandern in die Mitte des Raumes, wo ein großes schwarzes Zelt steht – ein mobiles Planetarium. Neugierig betreten die Kinder das brummende Teil – und sehen nicht nur Sterne, sondern hören sich auch Vorträge über sie an. Es ist die Hauptattraktion am Nachmittag.
Einen Raum weiter warten die Madrichim des Jugendzentrums Olam auf ihre Gäste. Einige haben alle Hände voll zu tun, denn sie bepflanzen mit den Kindern kleine Blumenkästen mit Frühlingsblühern wie Hyazinthen und Narzissen.
Wem das zu viel Arbeit ist, der kann sein Wissen im Umweltschutzquiz unter Beweis stellen. Dort werden Fragen wie »Was sind Sedimentgesteine?« oder »Welche Folgen hatte der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur?« gestellt. Fragen für Fortgeschrittene unter den jungen Umweltschützern. Sarah allerdings findet die Rallye viel besser.
Mehrere Bilder, auf denen Kastanien, Birken und Eichenblätter abgebildet sind, liegen auf dem Fußboden. Wenn jemand beispielsweise »Birke« sagt, müssen die Teilnehmer das richtige Blatt erkennen, es aufheben, zum bemalten Baum rennen, der ein paar Meter weiter aufgehängt ist, und es ankleben. »Da kommt man ganz schön ins Schwitzen – ich hatte keine Ahnung, wie schwierig es ist, Blätter zu bestimmen«, sagt die elfjährige Schülerin.
Jewrovision Für Anastassia Pletoukhina, die das Jugendzentrum Olam seit eineinhalb Jahren leitet, stand früh fest, dass ihre Kolleginnen und sie am Sonntag ins Gemeindezentrum kommen würden. »Dieser Wochentag ist immer wichtig für das Jugendzentrum. Da war es klar, dass wir mit den Schulen zusammen feiern werden«, sagt sie. Außerdem bestehe ein intensiver Kontakt zu allen Pädagogen der beiden Schulen, da viele Kinder nachmittags ins Jugendzentrum kämen.
Später werden die Tische im kleinen Saal wieder abgebaut, um Platz zu machen für die 15- und 16-Jährigen. Für sie haben die Madrichim ein eigenes Programm geplant – wozu auch das Training für die anstehende Jewrovision im März zählt. Vorbereitung ist schließlich fast alles.
Auch Heike Michalak ist mit der Planung des Tages im Nachhinein zufrieden: »Wir haben nur Lob gehört«, sagt die Schulleiterin. Es sei doch eine Bereicherung, solche Projekte gemeinsam zu organisieren. Das sei ein Gewinn für alle.