Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte – Efim Chorny steht auf der Bühne des Jüdischen Kulturzentrums in Erfurt. Die Luft ist heiß und der Saal nahezu gefüllt. Der moldawische Sänger ist hier bekannt und beliebt. In den letzten Reihen singen und wippen einige Frauen bei seinen Liedern mit. »Ja«, sagt Irina, »ich kenne viele Texte und die Melodien dazu, ukrainische und russische kann ich mitsingen.« Irina wirkt sehr couragiert. Sie sitzt im Ausländerbeirat der Stadt. Die jiddische Sprache, sagt sie, sei ihr auch ein wenig vertraut. »Wir haben hier einen Chor, der singt ebenso jiddische Lieder. Doch nur die wenigsten von uns sind auch mit der Sprache aufgewachsen.«
Etwa 700 Menschen gehören heute der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in Erfurt an. Die meisten sind russischsprachig, so wie Lev Guzman, der in Usbekistan geboren wurde; studiert hat er in Taschkent. Heute ist der Musiker in Thüringen zu Hause. »Jiddisch«, sagt er, »kannte ich früher überhaupt nicht. Ich lerne es jetzt hier, und die Musik dazu ist einfach großartig!« Seit Jahren beteiligt er sich am Yiddish Summer, nun steht er mit Efim Chorny und anderen Musikern auf der Bühne.
Tradition Das Festival gibt es seit 18 Jahren in Weimar und ist bewusst mit einigen Veranstaltungen in Erfurt zu Gast, denn nur hier gibt es eine Jüdische Gemeinde. Und so stehen Konzerte in der Alten Synagoge, im Kulturzentrum, aber auch im trendigen Zughafen auf dem Programm. 135 Künstler und Künstlerinnen reisen aus 17 Ländern an – der Yiddish Summer will Menschen erreichen, mit Musik begeistern und die breite jiddische Kultur vermitteln, so wie es Efim Chorny seit Jahren tut. Sein Humor ist subtil, er führt auf Russisch und Jiddisch durch das Programm, stellt Künstler vor, singt und erklärt den Hintergrund der Lieder wie »Shvartse kats« und »Ikh badoyer nit«.
Der schlaksige Sänger mit dem schütteren grauen Haar ist in Kishinev geboren, wo er bis heute lebt, in der für ihn »schönsten Stadt der Welt«, sagt er lachend. Er sagt es sehr überzeugend, und man bewundert die kraftvolle Bühnenstimme und die verbindliche Art im Gespräch. Wenn Efim Chorny nicht beim Yiddish Summer zu Gast ist, tourt er mit der Pianistin Susan Ghergus zu internationalen Festivals quer über den Erdball.
Ob Jiddisch in den Gemeinden zwischen Moldawien und Thüringen wieder ein Trend wird? Er gibt zu: »Das ist derzeit noch etwas für Enthusiasten. Aber wir sind viele! Und – Psst! – das ist ein Geheimnis! Aber die Wahrheit.« Er zeigt auf die Notenblätter. »Die Lieder, die wir hier singen, sind ein Teil unseres Lebens in der Sowjetunion. So viele schöne Lieder.« Und vielleicht haben auch deshalb an jenem Abend etliche Musiker zugesagt, ihn auf der Bühne zu begleiten. »Wir gaben ihnen alle Texte, per Skype haben wir geprobt. Und – es hat funktioniert.«
In den kommenden Tagen wird Efim Chorny beim Yiddish Summer ein gefragter Workshop-Lehrer sein. »Jiddisches Lied« und der Instrumentalworkshop sind gut besucht. Hinzu kommen ein Kinderlieder-, Tanz- und Sprachworkshops. Etwa 250 bis 300 Teilnehmer werden allein dort erwartet. Insgesamt rechnen die Veranstalter mit mindestens 7000 Gästen. Manche reisen sogar aus Japan an, so wie das Klezmer-Duo aus Tokio, das fast schon Stammgast ist.
Bis Mitte August wird geprobt, gelernt und konzertiert. Es gibt Filme und Jam-Sessions, Sprachkurse (Hebräisch und Jiddisch) und immer wieder die Möglichkeit, mit den Akteuren ins Gespräch zu kommen – zwanglos, auf Augenhöhe und freundschaftlich.
Alan Bern leitet das Festival von Beginn an. Noch nie gab es Vorwürfe – wie jüngst in einem Zeitungsartikel indirekt formuliert –, er würde sich als Jude, als Amerikaner bereichern und Gelder für Kultur nutzen, weil diese hier besonders gut flössen. Es hat ihn beleidigt und auch getroffen.
förderung Denn gerade das will er nicht! Der immer vierwöchige Yiddish Summer kommt seit Jahren mit sehr viel bescheideneren Budgets aus als vergleichbare Festivals (in diesem Jahr sind es 340.000 Euro). Die Organisatoren kämpfen Jahr für Jahr um Förderung und Finanzierung und stellen dennoch kontinuierlich ein anspruchsvolles Programm zusammen. Das Credo der Macher: Humanismus, Weltoffenheit und eine Kultur, die unabhängig von der Frage der Religionszugehörigkeit Menschen wertschätzend verbindet, so wie es die Musik, eben gerade die jiddische, seit Jahrhunderten schafft. Der Holocaust ist zwar Grund dafür, dass viele Facetten der jiddischen Kultur heute nicht mehr vorhanden sind, er sollte jedoch nie ein Argument sein, das Festival aus gesellschaftspolitischer Sicht finanzieren zu müssen.
»Der Yiddish Summer war immer der Versuch, zu sehen, wie viel Vertrauen es geben kann und was wir an Vertrauen schaffen können«, sagt Alan Bern – promovierter Musikwissenschaftler, Pianist, Komponist und Akkordeonist. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, weltweit nach jiddischer Musik zu suchen, Ausschau zu halten, in welchen Kulturen jiddische Sprache und Musik erhalten sind.
Die langjährige Zusammenarbeit mit den südosteuropäischen Musikern, den Vertretern der Sinti und Roma (Projekt »The Other Europeans«) war ein großer Erfolg. In diesem Jahr ist Yair Dalal aus Israel zu Gast, der seine irakisch-jüdische Kultur – die Musik der Sefarden – einfließen lässt. Und so ist das Festival auch ein Schmelztiegel, in der jedes Jahr eine Schicht Wissen neu hinzukommt.
»Im nächsten Jahr wird es die russisch-jiddische Kultur sein«, kündigt Bern an, »die uns besonders interessiert.« Und er fügt hinzu: »Ab 1918 kamen viele Jiddisch sprechende russische Juden nach Berlin. Die Stadt war für ein paar Jahre weltweit das Zentrum dieser Kultur. Deshalb gibt es tatsächlich eine tiefe Verbindung und eben Menschen, die viel mitgebracht haben.«
Ein Thema, dass auch die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde interessieren dürfte. »Ich bin glücklich«, sagt Alan Bern, »dass man hier unsere Arbeit annimmt und schätzt.« Und vielleicht ist es auch ein Stück Identität, die der Yiddish Summer auf diese Art zurückgeben kann.
Konzertbesucherin Irina überlegt. »Ja, das mag sein. Denn ich kenne die Sprache noch von meinen Eltern und Großeltern. Und ich möchte auch gerne mehr darüber wissen, deshalb haben wir hier einen kleinen Kurs gegründet.«
sängerinnen Stolz ist man hier auch, wenn die vor wenigen Wochen ins Amt eingeführte Kantorin Sveta Kundish zu Gast ist, ebenso wie die Sängerin Sasha Lurje. Die 33-Jährige kam 2006 zum ersten Mal von Riga nach Weimar zum Yiddish Summer. »Die vier Wochen Festival haben mich damals komplett verändert. Ich fuhr nach Hause, kündigte meinen Job, brach die Ausbildung, ein Ingenieurstudium, ab und wollte nur noch Musik machen. Ich schrieb mich damals in Riga an der Kulturakademie ein, jobbte im Jüdischen Museum, um beim nächsten Yiddish Summer einfach besser vorbereitet zu sein.« Heute ist das Singen der jiddischen Lieder ihr Beruf. Zwischen Kanada, Brasilien, den USA und quer durch Europa ist sie eine gefragte Interpretin.
Seit 18 Jahren geben die Macher des Festivals Impulse für Musik und das Wiederentdecken der Sprache. Manch eine Musiker- und Sängerkarriere ist daraus hervorgegangen, viele Musikprojekte entstanden, Ensembles und Bands haben sich gegründet. Ein Festival, das offenbar mehr ist als nur eine sporadische Einladung, »mal eben zu jiddeln«. Es geht um eine tiefe Ernsthaftigkeit und den Respekt vor einer großartigen, nicht nur europäischen Kultur und einer Sprache, deren älteste erhaltene Schriftzeugnisse auf Überlieferungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert schließen lassen, unter anderem aus dem Rheinland.
www.yiddishsummer.eu