Es wird geschrien, geweint und nicht gelacht. Geschrien wird auf der Arbeit, wenn Alice die Heimmädchen unter ihrer Obhut zur Räson bringen will, geweint, wenn sie den eigenen Sohn ohnmächtig auf dem Badezimmerboden findet.
Dramatisch eröffnet das Israel Film Festival mit Dana Goldbergs Film Alice am 20. März sein viertägiges Schauspiel unter dem Titel »New Perspectives From Independent Israeli Cinema«. Das Festival, das in diesem Jahr im Kino Moviemento in Kreuzberg, Deutschlands ältestem Kino, gastiert, findet zum zweiten Mal statt. Es soll einen Einblick geben in das, was die israelische Filmszene zu bieten hat.
40 Werke werden gezeigt: Spielfilme, Dokumentationen und Kurzfilme, produziert und gedreht vorwiegend in Israel und Deutschland. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf dem Thema Gesellschaft, sei es der Umgang mit jugendlicher Sexualität, die Queer-Bewegung in Israel oder der Generationendialog. Was genauso wenig fehlen darf, ist der Israel-Palästina-Konflikt, so alt und aktuell wie die Gründung Israels, die ebenfalls Thema ist.
Mit Alice haben sich die Organisatoren schwere Kost für den Anfang gesucht. Alice arbeitet in einer Reha-Klinik für Mädchen, was die 38-Jährige jeden Tag aufs Neue große Kraft kostet. Zu Hause warten ein missmutiger Ehemann und ein kleiner Sohn, der sich vor allem Beachtung und Liebe von seiner depressiven Mutter wünscht. Diese ist seit Geburt des Kindes vor neun Jahren selbst in psychologischer Behandlung – und vergnügt sich nachts im Büro mit ihrem Liebhaber, anstatt sich den Heimkindern zu widmen. Als sie erfährt, dass sie zum zweiten Mal schwanger ist, gerät Alices Leben schließlich vollends außer Kontrolle.
gesellschaft Skandalös geht es in der Kategorie »Spielfilm« weiter mit Six Acts über ein junges Mädchen, das sich selbst und ihren Körper verschenkt. Sivan Levy brilliert als Gili in Jonathan Gurfinkels Film und gewann für ihre Darstellung den israelischen Filmpreis »Ophier« als beste Darstellerin. Angeprangert wird eine durchsexualisierte Gesellschaft, die sich nimmt, was sie braucht, und fallen lässt, wessen sie überdrüssig ist.
Politisch wird es beim Festival einzig mit den Filmen Foreign Sister und Bethlehem. Der bereits 13 Jahre alte Streifen Foreign Sister hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Dan Wolman erzählt die Geschichte einer illegal im Land lebenden christlichen Äthiopierin und deckt damit den alltäglichen Rassismus und skandalösen Umgang mit illegalen Einwanderern auf. Yuval Adlers Film Bethlehem (2013) legt den Fokus erneut auf die Beziehung Israel-Palästina oder vielmehr auf deren Nicht-Beziehung. Denn während Razi als israelischer Geheimagent versucht, seinem Land zu dienen, zwingt er Sanfur dazu, wiederum seines zu verraten, indem er ihn als Spitzel im Westjordanland einsetzt.
dokumentation Doch auch die Dokumentationen des Filmfestivals können sich sehen lassen, steht hier doch vorrangig das Suchen und Finden des eigenen Ichs im Vordergrund. So beispielsweise Nitzan Giladys Beitrag Family Time, in welchem er die Frage »Muss ich wirklich untreu sein?« an seiner eigenen Familiengeschichte zu beantworten versucht. Auch The Uzbek Trilogy hat sich ganz der Familie verschrieben. In drei Teilen erzählt Avishai Sivan die Geschichte seines Vaters, der von Usbekistan nach Israel einwanderte, von seinem Großvater, dessen Heimat noch immer dort liegt, und schließlich von sich selbst und seinem Gefühl, zwischen allen Stühlen zu leben.
Ganz aktuell hingegen zeigt sich Paz Mors Film Political Me über die Ereignisse von 2011. Während man in Israel auf politische Unruhen wartet – ausgehend von der palästinensischen Bestrebung, von der UN als Staat anerkannt zu werden –, braut sich im Landesinnern ein eigener Sturm zusammen. Sozialproteste brechen in allen großen Städten Israels los und stellen das Referendum politisch in den Schatten. In diesem Tumult versucht die junge Filmemacherin, ihre eigene politische Identität zu finden.
highlight Das Highlight des Festivals ist jedoch nicht unter den Spielfilmen zu finden, sondern in der Kategorie »Kurzfilme«. Der Berliner Filmemacher Daniel Carsenty, der neben Dan Geva und Avishai Sivan im Fokus des Festivals steht, bricht mit seinen drei Beiträgen eine Lanze für den politischen Film.
Während Days Like Honey Days Like Onion (2013) das Schicksal eines palästinensischen Ex-Häftlings erzählt, der versucht, die Mauer, die das Land zerschneidet, zu überwinden und gleichzeitig zu verstehen, rückt My Fourth Death (2013) die Ereignisse des Krieges zwischen Israel und Gaza im Sommer 2006 in den Vordergrund.
Dabei beleuchtet Carsenty die Frage, wie man in einem Land leben kann, in dem Krieg eine alltägliche Realität ist. Sein dritter Film Yigal vervollständigt das Kurzfilm-Trio: Erzählt wird die Geschichte eines israelischen Soldaten, welcher an der Grenze zu Gaza entführt wird und dieses Trauma nicht überwinden kann. Nicht brandaktuell, aber doch allgemeingültig erzählt Carsenty von zwei Ländern, beide eng miteinander verwoben und doch messerscharf voneinander getrennt.
Alle Spielzeiten und weitere Informationen zu den Filmen des Festivals unter www.iffberlin.com