Erst war es nur eine überkonfessionelle Bürgerbewegung, mittlerweile ist die »Initiative 27. Januar« zu einer Erfolgsgeschichte gelebter Solidarität mit Israel und christlich-jüdischer Freundschaft geworden. Bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Jüdischen Gemeindezentrum zeigte sich dies einmal mehr auf beeindruckende Weise.
Harald Eckert, der Vorsitzende des in München gegründeten Vereins, wies darauf hin, dass die Gedenkveranstaltungen zwar Ausgangspunkt und Mitte des Engagements seien, aber die Zielrichtung viel weiter gehe. »Wir wollen sensibilisieren und motivieren«, sagte er auch mit Blick auf die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die derzeit – wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr – einem Gefühl der Unsicherheit, der Isolation und der Bedrohung ausgesetzt seien.
wunden IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, die Gastgeberin der Veranstaltung, für die Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die Schirmherrschaft übernommen hatte, zitierte in ihrem Grußwort den amerikanischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger William Faulkner mit dem Satz, dass das Vergangene nie tot sei, ja nicht einmal vergangen sei.
»Tief in meinem Inneren, tief in uns allen, Jude oder nicht, Zeitzeuge oder junger Mensch, tief in jedem Einzelnen von uns ist Auschwitz präsent«, sagte Charlotte Knobloch. Sie machte im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der »Todesfabrik Auschwitz« und den vielen Konfliktherden in der Welt aber auch eine für sie schmerzhafte Einschränkung: »Nicht jeder Mensch kann das spüren, viele wollen es nicht wahrhaben. Doch wenn derart Ungeheuerliches erlitten wird, geschieht oder getan wird, verschwindet es nicht. Es bleibt. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, nicht rückstandslos.«
Für die Psychotherapeutin und Kinderärztin Eva Umlauf aus München-Germering ist die eintätowierte Nummer »A-26959« auf ihrem Arm das sichtbare Überbleibsel, das sie an Auschwitz erinnert. Sie war gerade zwei Jahre alt, als sie und ihre Familie 1944 dorthin deportiert wurden. Ihr Vater wurde erschossen, ihre Mutter und sie entgingen der Gaskammer.
Gefühle Eine bewusste Erinnerung, erläuterte Eva Umlauf im Gemeindezentrum, habe sie zwar nicht an die damalige Zeit. Dennoch sei für sie die Kälte des Schreckensortes tief in ihrem Inneren spürbar. »Mein ganzer Körper«, beschrieb sie ihre Gefühle, »springt sofort an, wenn ich mit Auschwitz konfrontiert werde. Mir ist immer bewusst, dass ich von dem damals Erlebten nie frei sein werde.«
Eva Umlauf wurde 1942 im slowakischen Arbeitslager Novaky geboren. Dorthin kehrten sie, ihre Mutter, ihre im April 1945 im bereits befreiten Lager geborene Schwester Nora und ein verwaister fünfjähriger Junge, den Eva Umlaufs Mutter in ihre Obhut genommen hatte, auch wieder zurück. 1966 heiratete sie einen polnischen Auschwitz-Überlebenden und zog aus der Tschechoslowakei nach München. Ihr Mann engagierte sich stark beim Maccabi-Sportverein und in der Jüdischen Gemeinde.
Danach wurden, auch wegen ihrer neuen Ehe, eine Zeit lang andere Dinge wichtiger. Doch nicht auf Dauer, die Vergangenheit ließ sie nie los. Inzwischen beschäftigt sie sich stärker denn je mit ihrem Schicksal und erwägt, ihre Familiengeschichte aufzuschreiben. »Trauerarbeit gehört zur Kultur des Friedens«, lautet ihre Erkenntnis. Dass sie die Aufarbeitung sucht, hat auch mit ihren Kindern zu tun. Sie weiß, dass unverarbeitete Traumata an die nächsten Generationen weitergegeben werden.
erinnerung Staatssekretär Georg Eisenreich, der in Vertretung des Ministerpräsidenten zu der Veranstaltung kam, hatte bereits zuvor hinsichtlich des Rassenwahns als »Kern der NS-Ideologie« auf die Bedeutung »der Kultur des Erinnerns« hingewiesen. »Das Gedenken sollte die Zukunft nicht außer Acht lassen«, betonte er.
Oberbürgermeister Dieter Reiter wies auf die besondere Rolle hin, die München als »Hauptstadt der Bewegung« in vielerlei Hinsicht spielte und von wo aus sich der »braune Ungeist« auf das ganze Land und in die Köpfe der Menschen verbreitete.
»Wir stehen heute an der entscheidenden Schwelle, wo das Erlebnis zur Erkenntnis wechselt. Einen Schlussstrich darf und wird es aber niemals geben«, sagte das Stadtoberhaupt. Er stellte in seiner Ansprache auch einen Zusammenhang zur Gegenwart her, in der sich Juden in München bedroht fühlen würden. »Das ist ein unglaublicher Vorgang«, betonte Reiter.
salonfähig Auf den im vergangenen Sommer neu entflammten Judenhass in Deutschland, auf Rassismus, Unterdrückung und Mord in vielen Teilen der Welt gingen auch die anderen Redner der Veranstaltung ein. Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler von der Evangelischen Landeskirche stellte mit Bestürzung fest, dass Antisemitismus in der Bundesrepublik stellenweise wieder salonfähig geworden sei.
Ähnlich sah es auch Ordinariatsdirektorin Sandra Krump, die Kardinal Reinhard Marx vertrat. »In Deutschland wurde das moralische Band bewusst durchschnitten«, stellte sie fest und erinnerte an die NS-Zeit, als Juden das Menschsein abgesprochen worden ist. »Das ist eine immer noch offene Wunde«, so Krump.
Auch Erzpriester Apostolos Malamoussis von der griechisch-orthodoxen Kirche und Pfarrerin Brigitte Fietz von der Evangelischen Allianz München betonten, wie wichtig es sei, die Konsequenzen aus der damaligen Zeit an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Zu der nachdenklichen Stimmung, die die Veranstaltung im vollbesetzten Hubert-Burda-Saal begleitete, passten auch der musikalische Rahmen mit Tanja Huppert am Klavier und der Kurzfilm Sie heißt jetzt Lotte!. Dieser erzählt die Geschichte von zwei Freundinnen während der NS-Zeit und ist inspiriert von der Lebensgeschichte Charlotte Knoblochs.