Mit Lebenserinnerungen ist es so eine Sache. Entweder versuchen mehr oder weniger prominente Personen im gehobenen Alter, auf diese Weise an dem Bild zu feilen, das die Nachwelt eines Tages von ihnen, bitte schön, haben soll. Oder sie sind einfach nur wichtigtuerisch und sterbenslangweilig.
Dass es anders gehen und das Genre durchaus ein hohes Unterhaltungspotenzial beinhalten kann, zugleich aber auch sehr ernsthafte Themen aus einer persönlichen Perspektive aufzugreifen vermag, das beweisen die Memoiren von Ruth Frenk.
Die 1946 in Rotterdam geborene Sängerin, Gesangspädagogin und Wiederentdeckerin der in Theresienstadt entstandenen Musik schildert darin unter anderem, wie eine jüdische Kindheit und Jugend in den Niederlanden der Nachkriegszeit aussehen konnte.
FAMILIE »Da ich das Leben mit Omas, Opas, Onkeln, Cousins und Cousinen nicht kannte, habe ich es auch nie wirklich vermisst«, schreibt die Tochter zweier Schoa-Überlebender. »Ganz im Gegenteil – ich hatte nie das Bedürfnis, mich zu vermehren, Kinder zu bekommen und eine neue Familie zu gründen, ganz anders als viele jüdische Holocaust-Überlebende erster und zweiter Generation, die als Lebensziel das Etablieren einer neuen großen Familie hatten.«
Es ist genau diese im wahrsten Sinn des Wortes unverblümte Art und Weise, wie Frenk über sich und ihre Erfahrungen in den Niederlanden, Israel sowie in den Vereinigten Staaten und schließlich Deutschland reflektiert, die das Buch so lesenswert macht. Zudem dürften ihre Erfahrungen aufgrund dieser geografischen Konstellationen sowie ihrer ganz persönlichen musikalischen Interessen in der Tat einzigartig sein.
MUSIK War sie doch nicht nur hierzulande die Wegbereiterin jiddischer und israelischer Volks- sowie Kunstlieder. 1974 sollte es sie schließlich nach Konstanz verschlagen, wo Frenk seither lebt, das kulturelle Leben der Stadt mitgeprägt hat und ihre ganz eigenen Erfahrungen machte.
Denn sobald es um Antisemitismus ging, erhob sie sofort die Stimme – und dabei konnte ihr auch schon mal der »Kragen platzen«. Trotzdem bezeichnet sie sich selbst als »die Jüdin, die so gerne in Deutschland wohnt« – 100 Meter von der Schweizer Grenze entfernt.
Ruth Frenk: »Bei uns war alles ganz normal – Memoiren einer niederländisch-jüdischen Sängerin in Deutschland«. Hartung-Gorre, Konstanz 2022, 188 S., 24,80 €