Es sei dringend nötig, dass sich die Kantoren vernetzen und sich über Melodien, Riten, Sorgen, Probleme und Honorare austauschen. Da sind sich Assaf Levitin, Kantor der Reformsynagoge der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, und Amnon Seelig, Kantor der orthodox geführten Jüdischen Gemeinde Mannheim, einig.
Nun ist es so weit: Sie haben den Verband Jüdischer Kantoren gegründet, der in diesen Tagen amtlich registriert wurde. Zum ersten Vorsitzenden wurde Amnon Seelig gewählt, zum zweiten Assaf Levitin. Jetzt hoffen die beiden Chasanim, dass sich neben den etwa zehn Gründungsmitgliedern, darunter auch Sveta Kundish, Aviv Weinberg, Alexander Zakharenko und Isidoro Abramowicz, noch weitere anschließen.
Berufsgenossenschaft »Aber da geht das Problem schon los, denn wir wissen gar nicht, wie viele Chasanim es überhaupt in Deutschland gibt«, sagt der 40-jährige Seelig. Manche haben am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam ihr Studium absolviert, einige auch am Institut für traditionelle jüdische Liturgie in Leipzig und weitere in Israel. Ob orthodox oder liberal – Mitglied kann jede Kantorin und jeder Kantor werden.
Es soll eine Berufsgenossenschaft sein. »Die religiöse Richtung spielt bei uns keine Rolle, da unterscheiden wir uns beispielsweise von der Orthodoxen und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz«, so Levitin. Sie möchten auch arbeitssuchende Kantoren an Gemeinden vermitteln und Anlaufstelle für die Gemeinden sein, wenn sie einen Chasan suchen. Damit erinnern sie auch an die frühere Vereinigung jüdischer Kantoren, die von 1905 bis 1939 existierte und ähnlich agierte.
Vor Jahren kam den jetzigen Mitgliedern die Idee eines Verbandes. Der Anlass war damals, dass ein Chasan solch gravierende Schwierigkeiten in der Gemeinde hatte, dass er seinen Vertrag auflöste. Streitpunkt waren die Melodien, die ein Kind im Barmizwa-Unterricht lernen sollte. Der Kantor bestand darauf, dem Kind die traditionellen Weisen beizubringen. Die Eltern des Kindes aber, die im Gemeindevorstand saßen, waren anderer Meinung. »Im Laufe der Debatte entstand die grundsätzliche Frage, ob der Chasan ein geistliches Amt führt oder einfach nur Sänger ist«, so Assaf Levitin. Diese Auseinandersetzung führte schließlich zur Auflösung des Vertrages.
Amt In einem anderen Fall wurde die Frau des Chasan, die zum Judentum konvertiert war, nicht akzeptiert. Vor allem vom Rabbiner, der das immer wieder zum Thema gemacht haben soll, bis der Kantor sein Amt aufgab. »Wenn es da schon unseren Verband gegeben hätte, wären wir vielleicht eingeschaltet worden und hätten die Probleme gemeinsam lösen können.«
»Viele Gemeinden verfügen gar nicht über einen Rabbiner vor Ort, sondern werden von einem Landesrabbiner betreut, der aber nicht immer da sein kann«, so Amnon Seelig. Deshalb leiten viele Kantoren nicht nur die Gottesdienste, sondern übernehmen auch die Gestaltung von Beerdigungen und Hochzeiten. »In manchen Gemeinden gibt es nur uns.« So leitet Seelig in der Jüdischen Gemeinde Mannheim die Gottesdienste und führt die Tora-Lesungen durch. Ebenfalls fallen Schiurim und alle religiösen Angelegenheiten der Gemeindemitglieder in seinen Bereich.
»Gemeinsam sind wir stärker, durchsetzungsfähiger und wissen mehr«, sagt der Bariton. Beispielsweise, wenn es um konkrete Fragen geht, wie beispielsweise der Gottesdienst gestaltet wird, wenn Chanukka und Neumond am Schabbat zusammenfallen, oder ob aus zwei oder drei Torarollen gelesen wird, wie »kleinere« Feiertage wie Tu Bischwat und Lag BaOmer gestaltet werden können. Oder was man macht, wenn kein Minjan zusammenkommt. Dazu kommen noch Hinweise auf Melodien. Einer der Kantoren erinnert sich vielleicht, dass in einer Gemeinde eine bestimmte Tonfolge sehr beliebt war, sodass der dort amtierende Kantor nun auf sie zurückgreifen kann.
Auch Wettbewerbe möchte der Verband wieder initiieren.
Ein wichtiger Punkt steht auch auf der Agenda der neuen Vereinigung: das liebe Geld. Auf den Seiten der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) gibt es die Rubrik SchazMaz, die eine Abkürzung für »Schaliach Zibur« und »More Zedek« (Vorbeter und Religionslehrer) ist. Die Abkürzung steht für ein Programm der ARK, das Gemeinden, die in der Gründungsphase sind oder aufgrund ihrer Größe weder Rabbinerin oder Rabbiner haben noch Kantorinnen oder Kantoren, eine rabbinische oder kantorale Grundversorgung gewährleisten soll.
missverhältnis Es beinhalte auch eine Tabelle, in deren zweiter Spalte die Honorare der Kantoren aufgelistet seien, so Levitin. »Ein Rabbiner bekommt wesentlich mehr Geld«, meint er. Das gehe aus der ersten Spalte hervor. Zwischen den Gehältern bestehe ein großes »Missverhältnis«, das der Tätigkeit eines Kantors nicht gerecht werde. Ferner würden die Kantorinnen und Kantoren nicht der ARK angehören, und die Tabelle sei »ohne jeglichen Dialog mit uns« entstanden.«
Andreas Nachama, Vorsitzender der ARK, erklärte im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen: »Dieses Programm wurde vor 16 Jahren ins Leben gerufen.« Damals hätte es nur wenige Kantoren gegeben.
Der Verband Jüdischer Kantoren will demnächst Tagungen, Fortbildungen und Treffen planen. »Wir wollen uns kennenlernen.« Der Vorgängerverband war Anfang des 20. Jahrhunderts sehr aktiv. Seine Zeitschrift »Der jüdische Kantor« erschien sechsmal im Jahr. Ebenso wurden Kompositionswettbewerbe initiiert, damit auch neue Melodien Einzug in die Synagoge finden. Diese wurden in einem Band 1930 veröffentlicht, der im Leo Baeck Institute in den USA archiviert ist. Diese Zeitschrift will auch der neue Verband Jüdischer Kantoren wieder ins Leben rufen.