Wer nicht verantwortlich ist, kann sich auch nicht entschuldigen», stellt Herbert Lappe, Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, fest. Während der Gedenkveranstaltung anlässlich der Kundgebung «Marsch des Lebens» in Dresden sprach er am Mittwoch vergangener Woche über Le-
bensgeschichten der Schoa aus Dresdner Perspektive.
«Ich habe Hochachtung vor den Leuten, die den ›Marsch des Lebens‹ antreten», fährt er fort, «aber es ist eine Verhöhnung der Opfer, wenn man sie für eigene religiöse Zwecke missbraucht». Dresden sei auf den «Marsch des Lebens» nicht angewiesen, um sich an die NS-Gräuel zu erinnern. Es gebe in der Stadt zahlreiche Initiativen, die sich dem Gedenken an die ermordeten Juden widmen, so Lappe. Er halte es für sinnvoll, gerade junge Leute, die ohne Schuld seien, weiterhin über die Geschichte zu informieren und ihre Zivilcourage zu stärken.
Freikirche Nach Lappes Rede ist die Versammlung merklich irritiert. Der Organisator des Dresdner Marsches, Stefan Haas, Pastor der evangelischen Freikirche TOS in Leipzig, äußert, solche Worte seien auf einer Gedenkveranstaltung deplatziert. Dann leitet er schnell zum Vortrag der Holocaust-Überlebenden Ruth Steinfeld über. In bewegenden Worten berichtet die 84-Jährige, wie ihr und ihrer Schwester als Kindern die Flucht aus einem Lager in Frankreich gelang. Erst spät im Leben, nach einem Besuch in Yad Vashem, entdeckte sie die Aufgabe für sich, ihre Geschichte zu erzählen – stellvertretend für die 1,5 Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten Kinder.
Mit dem «Marsch des Lebens» erinnert die gleichnamige Bewegung in zahlreichen Städten an die Ermordung von sechs Millionen Juden in Nazi-Deutschland. Auch der Dresdner Gedenkmarsch sollte ein Zeichen der Solidarität und des gemeinsamen Erinnerns mit Israel anlässlich des Holocaust-Gedenktags Jom Haschoa sein.
Vor zehn Jahren entstand die Bewegung. Nachfahren von NS-Tätern versammelten sich zu Gedenk- und Versöhnungsmärschen an Orten des Holocaust. Inzwischen ist man weltweit aktiv. In diesem Jahr finden in 60 Städten Gedenkgänge statt. Wichtig ist der Initiative das öffentliche Schuldeingeständnis, verbunden mit der Bitte um Vergebung. «Wir wollen die Decke des Schweigens durchbrechen, denn Schweigen erzeugt neuen Antisemitismus», ist Pastor Haas überzeugt.
Veranstaltung Am Dresdener «Marsch des Lebens» nahmen 110 vorwiegend Auswärtige teil. Die Jüdische Gemeinde war – entgegen der Ankündigung – nicht beteiligt. Nach «langen Vorgesprächen» mit der Gemeinde habe man sich geeinigt, den Marsch ohne sie durchzuführen, so Pastor Haas. Bei der abendlichen Gedenkveranstaltung im Verkehrsmuseum am Jüdenhof waren dann aber unter anderem Gemeinderabbiner Alexander Nachama und die Gemeindevorsitzende Nora Goldenbogen anwesend.
Goldenbogen blickte in ihrer Ansprache auf die NS-Zeit in Dresden zurück. Sie erinnerte an die zahlreichen Judentransporte, die aus der Stadt abgingen, und an die Auslöschung der jüdischen Gemeinde. Sie beschrieb aber auch das Empfinden der Überlebenden – zu denen auch ihr Vater gehörte. «Erinnerung wird immer wichtiger. Sie ist manchmal nicht bequem, aber notwendig.»