Lange Wege, um sich Antworten anzunähern, geht Tuvia Tenenbom nicht. Der israelisch-amerikanische Theaterregisseur und Autor ist diesem Prinzip auch in seinem neuen Buch Allein unter Flüchtlingen (Suhrkamp-Verlag) treu geblieben. In der vergangenen Woche hat er es im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde am Jakobsplatz vorgestellt.
Bei seiner investigativen Reise quer durch Deutschland, die ihn in Flüchtlingsheime genauso führte wie zu Treffen und Gesprächen mit Führungspersonal der rechten Szene, trieb ihn im Grunde genommen eine einzige zentrale Frage an: Warum hat Deutschland die Türen für Flüchtlinge so weit aufgemacht wie kein anderes Land?
Sunniten Tuvia Tenenbom wundert sich vor allem darüber, dass im Anflug spontaner und schier grenzloser Willkommenskultur der Deutschen entscheidende Faktoren untergegangen seien. In den Flüchtlingsunterkünften, so seine persönlichen Erfahrungen, würden Sunniten und Schiiten, Afghanen, Iraker, Iraner, Menschen unterschiedlichster ethnischer und religiöser Herkunft, auf engstem Raum zusammenleben. »Keiner«, zieht Tenenbom Bilanz, »hat anscheinend davon gehört, dass sie sich andernorts gegenseitig umgebracht haben.«
Nach den vielen Gesprächen, die der Autor mit Befürwortern der Flüchtlingspolitik geführt hat und die in seinem Buch ihren Niederschlag gefunden haben, ist er sich auch sicher, die richtige Antwort auf seine zentrale Frage nach dem »Gutmenschentum« der Deutschen gefunden zu haben. Tenenbom verkürzt sie auf das Stichwort »Geschichte«, um es dann doch genauer zu erklären.
Die NS-Vergangenheit habe zu traumatischen Reflexen bis in die heutige Zeit geführt, ist er überzeugt. »Die Deutschen«, lautet seine genauere Erklärung, »wollen beweisen, besser als alle anderen zu sein.« Für ihn, wie er deutlich macht, ist das eine schwer verdauliche Argumentation. »Wir sind besser« sei auch das »Herrenmenschen«-Prinzip der Nazis gewesen.
Gesprächsbedarf Die rigide Logik Tenenboms hat bei diversen Veranstaltungen seiner Schilderung zufolge schon zu bösen Anfeindungen geführt. Das blieb ihm im Gemeindezentrum erspart, aber die Diskussionen nach der Lesung (Armand Presser) und einem Podiumsgespräch (Moderation: Alexandra Surer) sorgten für erheblichen Gesprächsbedarf unter den Gästen.
Kann man es so machen wie der Autor und »die Deutschen« als solche klassifizieren, oder wäre eine Differenzierung angebracht? Ein Ziel hat Tuvia Tenenbom auf jeden Fall erreicht: Er plädiert für ein Umdenken und einen offeneren Diskurs.
Tuvia Tenenbom: »Allein unter Flüchtlingen«. Übersetzt von Michael Adrian und Bettina Engels. Suhrkamp, Berlin 2017, 234 S., 13,95 €