In Berlin sprangen sie in die Spree, um das Klimapaket symbolisch zu retten. Derweil demonstrierten mehrere Zehntausend junge Menschen in der Hauptstadt im Rahmen von »Fridays for Future« gegen den Klimawandel. Besonders die weitgehende Einschränkung des Individualverkehrs steht ganz oben auf der To-do-Liste von Umweltschützern.
In großen Städten mag der Öffentliche Nahverkehr ausreichen, aber auf dem Land wird es schwer, ohne Auto mobil zu bleiben. In den jüdischen Gemeinden wird über das Thema schon längere Zeit diskutiert. In Stuttgart lassen sich Mobilität und Umweltschutz gut miteinander verbinden. Die sechstgrößte Stadt Deutschlands bietet ein ausgebautes Bus-, U- und S-Bahn-Netz sowie an den Wochenenden Nachtfahrpläne.
»Die ältere Generation der Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion hat meistens ohnehin kein Auto«, sagt die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), Barbara Traub. Und das sei in Stuttgart eben auch kein Problem, zumal es günstige Sozial- und Seniorentickets gibt.
In kleineren Gemeinden Württembergs erhalten ältere Mitglieder eine Fahrgeldunterstützung.
Anders sieht die Situation in den Zweigstellen der IRGW aus. 800 der insgesamt 3000 Württemberger Juden wohnen außerhalb der Landeshauptstadt und »oft weiter weg von den Synagogen oder Beträumen, entsprechend sind die Anfahrtswege für sie länger«, erklärt Traub.
angebot Für die meist älteren Menschen gibt es daher ein spezielles Angebot. »Wenn sie nicht mehr so ganz mobil sind und zum Gottesdienst kommen wollen, egal ob nach Stuttgart oder in einer Zweigstelle, dann übernehmen wir die Fahrtkosten.«
Ob das seit Januar dieses Jahres in Stuttgart geltende Dieselfahrverbot Auswirkungen auf das Alltagsleben der Gemeindemitglieder hat, kann Traub nicht sagen. »Ich habe keine Daten oder Fakten, dass es Auswirkungen auf die Gottesdienstbesuche hat«, sagt sie. Die Gemeinde habe allerdings »das Thema Umweltschutz dahingehend aufgegriffen, dass wir bewusster mit Einweggeschirr umgehen und – natürlich im Rahmen der Speisegesetze und der Kaschrut – vermehrt Glasgeschirr oder im Restaurant Schalen und Teller aus pflanzlichem Material verwenden.«
»Umweltschutz und Judentum schließen sich nicht aus«, sagt Barbara Traub.
Gerade die jüngere Generation begrüße das sehr, »bereits die Kinder sind ja heute sehr umweltbewusst«, weiß Traub. Umweltschutz und Judentum schlössen einander ohnehin nicht aus, betont sie, »die Schöpfung zu achten, ist ein ganz wichtiger Punkt. Und mit dem Neujahrsfest der Bäume, Tu Bischwat, haben wir einen Feiertag, an dem wir für die harmonische Beziehung zwischen Gott, Mensch und Natur danken.«
grossstädte Mit fast 500.000 Einwohnern gehört Duisburg zu den 15 größten Städten Deutschlands. Das Einzugsgebiet der jüdischen Gemeinde des ehemaligen Stahlstandorts geht jedoch weit über die Stadtgrenzen hinaus: Im Norden umfasst es das 40 Kilometer entfernte Wesel, ins östlich gelegene Mülheim sind es rund 15 Kilometer.
»Viele Menschen sind bei uns auf das Auto angewiesen«, gibt Alexander Drehmann, Geschäftsführer der Gemeinde, zu bedenken. »Einfach Verbote auszusprechen, ohne sich darum zu kümmern, wie die Leute mobil bleiben können, ist eigentlich eine Unverschämtheit.«
In Duisburg wissen viele nicht, wie sie ohne Auto von A nach B kommen.
Umweltschutz sei natürlich ein ganz wichtiges Thema, »der Kohleausstieg, von dem hier in der Region zwölf Kraftwerke betroffen sind, ist ja auch sehr vernünftig und wird durch die Strukturförderung neue Chancen bieten. Aber den Individualverkehr oder Teile des Individualverkehrs einfach zu verbieten, ohne zuvor den öffentlichen Nahverkehr entsprechend auszubauen, ist bedenklich«, sagt Drehmann.
Mitglieder der Duisburger Gemeinde seien verunsichert, »wir haben Leute, die sich massiv beschweren, weil sie nicht wissen, wie sie ohne ihr Auto von A nach B kommen sollen – ältere Autos durch neue, umweltfreundlichere zu ersetzen, ist vielen finanziell einfach nicht möglich.«
Außerdem sei vor allem für ältere Menschen die dunkle Jahreszeit unter dem Mobilitätsaspekt ohnehin ein Problem. »Sie fühlen sich unsicher und sind nicht mehr gern abends mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.« Wenn sie an einer Haltestelle aussteigen, seien sie ja meistens nicht gleich zu Hause, sondern müssten noch eine Strecke allein zu Fuß gehen.
hausmeisterservice Die Gemeinde helfe, wo sie könne. »Wir haben einen Hausmeisterservice. Wenn jemand Hilfe benötigt, versuchen wir, zu unterstützen, aber das geht natürlich nicht dauernd.«
Den drohenden Klimawandel zu verhindern, sei natürlich essenziell, betont Drehmann, »aber es kommt eben auf das ›Wie‹ an. Es geht doch nicht, Verbote zu beschließen, ohne die möglichen Folgen zu bedenken.«
Denn: »Wir sind nun einmal eine Pendlernation«, sagt Drehmann, »und es muss Politikern und Aktivisten doch auch klar sein, dass es in Zeiten von knappem Wohnraum und Verdrängung in den großen Städten sicher nicht die Lösung sein kann, wenn noch mehr Leute in die wohnungsbautechnisch nicht darauf vorbereiteten Ballungsgebiete drängen, weil sie sich gezwungen sehen, näher am Arbeitsplatz zu wohnen.«
Viele ältere Menschen haben kein eigenes Auto und sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen.
Mit 50.000 Einwohnern gehört das rheinland-pfälzische Bad Kreuznach bereits zu den sogenannten Mittelstädten. 99 Prozent der jüdischen Einwohner wohnen direkt im Kurort selbst. Mobilität und Fahrverbote seien entsprechend nicht das Thema, das sie derzeit beschäftige, sagt der Gemeindevorsitzende Valeryan Ryvlin.
Taxi »Unsere Leute sind ohnehin oft auch schon älter und haben meistens kein Auto.« Und gleichzeitig sei die Verkehrssituation nicht optimal, sagt Ryvlin. »Hier bei uns in der Stadt fährt der letzte Bus um halb acht.« Andererseits seien in Bad Kreuznach die Strecken kurz. »Wenn es mal später wird, muss man halt ein Taxi bestellen. So weit sind die Wege nicht, mehr als zehn, 15 Euro kostet eine Fahrt nicht, das kann man sich schon manchmal leisten.«
Natürlich habe man gleichwohl die großen Demonstrationen unter anderem von Fridays for Future und die dazugehörigen Diskussionen mitbekommen. »Wir haben zum Beispiel auch beim Schabbatgottesdienst darüber gesprochen. Denn das, was man jetzt schon an Auswirkungen sieht, wie die geschmolzenen Gletscher in der Schweiz, sind ja wirklich sehr deutliche Zeichen, dass sich etwas verändert und gegengesteuert werden muss.«
Das vorherrschende Thema sei aber ein anderes, betont Ryvlin. »Das Klima ist wichtig, aber im Moment ist für uns das politische Klima wichtiger, das ist nicht erst nach dem Anschlag in Halle die Sorge, die an vielen nagt. Natürlich muss über den Klimawandel und die Zukunft gesprochen werden. Aber zuerst muss dafür gesorgt sein, dass es ein sicheres Leben im Hier und Jetzt gibt. Und damit überhaupt eine Zukunft für uns Juden in Deutschland.«